Nach vier Wochen konnten die Organisatoren der „Nakba“-Ausstellung in Bremen (in der Zentralbibliothek vom 18. Februar bis 17. März 2015) erleichtert aufatmen. Sie hatten viel Arbeit reingesteckt und waren ein nicht unerhebliches finanzielles Risiko eingegangen. Der Erfolg der Ausstellung hat alle Erwartungen übertroffen. Es kamen insgesamt mehr als 1500 Besuchern einschließlich mehrerer Schulklassen; zu den acht begleitenden Veranstaltungen und Filmvorführungen kamen zusammen über 1000 Interessierte. Die vier Wochen verliefen trotz einiger Befürchtungen und Ankündigungen völlig ohne unliebsame Zwischenfälle.
Aus den Einnahmen (Eintrittsgelder bei den Kulturveranstaltungen, Katalog- und Bücherverkäufe, Spenden bei den Veranstaltungen sowie etliche Sponsorengelder) konnten alle Ausgaben beglichen und eine nicht unerhebliche Summe an das „Israeli Committee Against House Demolition (ICAHD)“ und an ein Kinderhilfswerk Palästina überwiesen werden. Das Kinderhilfswerk kümmert sich um schwerverletzte Kinder aus Gaza, die in deutschen Krankenhäusern im Verbund mit palästinensischen Ärzte- und Apothekervereinigungen kostenlos operiert und mit orthopädischen Hilfen versorgt werden. Ein herzlicher Dank der Veranstalter geht an die Leitung und die Mitarbeiter der Zentralbibliothek, ohne deren Zustimmung und ohne deren tatkräftige Unterstützung der Erfolg nicht möglich gewesen wäre.
Die Jüdische Gemeinde und die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) hatten auf ihre Weise alles Erdenkliche versucht, diese Ausstellung komplett zu verhindern, was ihnen trotz vieler Interventionen und Pressionen im politischen Hintergrund der Stadt nicht gelang. Nach vielen Diskussionen und längerem Hin und Her wurde die endgültige Endscheidung schließlich am 12. Februar 2015 vom Bürgermeister der Stadt auf der Deputationssitzung für Kultur verkündet: Die Ausstellung könne – weder aus polizeilichen noch verwaltungstechnischen Gründen – nicht mehr verhindert werden.
Es hatte auch Drohungen im Internet wie z. B. von Seiten der Antideutschen oder ihrer Ableger gegeben. Eine – anonym bleibende – Gruppe mit der Bezeichnung „C3“ hatte verkündet, dass sie die Ausstellung nicht zulassen würde. Aber – zur Erleichterung der Organisatoren – passierte nichts, und auch auf den vielen Veranstaltungen mit den zum Teil langen Diskussionen waren Argumente aus dieser ideologischen Ecke nicht vernehmbar.
Im regionalen Fernsehen (Buten un Binnen) von Radio Bremen kam ein für Bremen beschämender Affront gegen die palästinensische Botschafterin, Dr. Khouloud Daibes, die zur Eröffnungsveranstaltung gekommen war, zur Sprache. Tatsächlich waren weder der Bürgermeister Jens Böhrnsen noch der Bürgerschaftspräsident Christian Weber zu einer Begrüßung der Botschafterin im Rathaus bereit gewesen. Jens Böhrnsen hatte auf eine formale schriftliche Anfrage eines ehemaligen Abgeordneten der Bremischen Bürgerschaft und Mitorganisators der Ausstellung schriftlich negativ reagiert. Sowohl er als auch andere Vertreter aus dem Senat hätten „vor der Bürgerschaftswahl keine zusätzlichen Termine für Botschafter zur Verfügung“. Das Erstaunen war natürlich groß, als man am 28. Februar 2015 im Weserkurier lesen konnte, dass der Senat Botschafter aus Fernost und Neuseeland empfangen hatte. Ein Schelm, wer sich dabei Böses denkt. Der Präsident der Bremischen Bürgerschaft ließ sogar, ohne, wie es eigentlich üblich ist, auf das formale Schreiben an ihn schriftlich zu antworten, lediglich telefonisch durch sein Vorzimmer ausrichten „er habe keine Zeit“. Jeder halbwegs Informierte in Bremen weiß, dass der sitzungsleitende Präsident sich jederzeit von seinen Stellvertretern ablösen lassen könnte (und an dem Tag tagte die Bürgerschaft). Wundern muss man sich bei diesem Volksvertreter allerdings eher nicht, beschimpft er doch – bar jeglicher Sachkenntnis über die Nahost-Problematik – auch aktuell noch die Organisatoren und Teilnehmer der nach Polizeiangaben größten und friedlichsten GAZA-Demonstration des letzten Jahres in der BRD, darunter auch den Bremer Schura-Vorstand, als „Antisemiten“.
So sieht konkret das laut propagierte Gebot der Toleranz, der Völkerverständigung und der Integration aus! Da scheint die sogenannte „political correctness“ im Amt in Angst, differenziert zu denken und Realitäten wahrzunehmen, umzuschlagen, und sie sediert das Verlangen und die Fähigkeit, Dinge zu hinterfragen und kritisch zu analysieren. Dabei gab es genügend ehemalige und jetzige Abgeordnete der SPD und der Grünen, ehemalige Landesvorsitzende der SPD, hochrangige Mitarbeiter des Rathauses einschließlich der Staatsrats-Ebene, die die Veranstaltungen besucht und sich ein Bild gemacht haben. Niemand hat auch nur im Ansatz den Vorwurf des „Antisemitismus“ bei diesem Projekt verifizieren können!
Überaus erfreulich war hingegen, dass Anette Klasing, die zweite Vorsitzende der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft und ebenfalls aktiv an der Organisation des Ausstellungsprojekts beteiligt, noch während der Ausstellung am 8. März im Rahmen eines Festakts des internationalen Frauentags in der Oberen Rathaushalle zur „Frau des Jahres in Bremen“ gewählt wurde.
Die Medien, ach die Medien. Es hatte je einen mehr oder weniger feindseligen Bericht im Weserkurier und in der Taz sowie eine kurze Sequenz in der TV-Abendschau von Radio Bremen gegeben. Die Veranstaltungen wurden im Lokalteil zum Teil, zum Teil auch nicht angekündigt; nur einige wenige Leserbriefe mit ihren Versuchen, zu berichtigen oder zu ergänzen, wurden abgedruckt. Was allein für mediales Interesse sorgte und schließlich zur unbeabsichtigten Werbung für die Ausstellung wurde, waren die heftigen Angriffe der Jüdischen Gemeinde und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG). Ansonsten haben wohl die vielen verteilten Flyer (über 6000 Stück insgesamt), die Plakate in Gemeinden, Kneipen, Veranstaltungsorten und Geschäften, die Mund-zu-Mund-Propaganda, die vielen unterstützenden und informierenden Webseiten und Facebook-Accounts und nicht zuletzt die Kooperation mit regionalen Institutionen wie dem Sendesaal, dem Kommunalkino, der Volkshochschule, dem Überseemuseum, dem Jugendsinfonieorchester, einigen regionalen Chören und natürlich der Stadtbibliothek dazu beigetragen, dass der weitgehende Boykott der Ausstellung seitens der großen Medien in Bremen wirkungslos blieb.
Die Ausstellung ist gelegentlich kritisiert worden, dass sie zu textlastig, zu wenig emotional-plakativ und für den modernen Ausstellungsbesucher zum einfachen Konsum zu schwierig gewesen wäre. In den langen Stunden während der Aufsicht, die aus Sicherheitsgründen immer notwendig war,
zeigte sich aber, dass viele Besucher die Texte, Schautafeln und Fotos sorgfältig lasen und betrachteten. Wie die vielen Kommentare auf der Pinwand und im Gästebuch belegen, hatten viele Besucher von dieser dunklen Seite der Staatsgründung Israels noch nie etwas gelesen oder gehört. Viele trugen sich in die ausgelegten Listen ein und wünschten in Zukunft weitere Informationen, auch über zukünftige Veranstaltungen. Nicht zuletzt fand der der 32-seitige Ausstellungskatalog mit den wichtigsten Inhalten der Ausstellung reißenden Absatz; es mussten einige Hundert nachbestellt werden.
Wesentlich zum Erfolg beigetragen haben die vielen begleitenden Veranstaltungen (insgesamt acht Vorträge und Referate sowie 18 Filmvorführungen im Kommunalkino der Stadt). Mit Martin Lentz, der in Ramallah mit Daniel Barenboim zusammen gearbeitet hat und jetzt Dirigent und Organisator des Jugendsymphonie-Orchesters in Bremen-Nord ist, konnte ein namhafter Musiker für das große Konzert im Sendesaal gewonnen werden. Viele waren auch gespannt auf die Veranstaltungen mit Ilan Pappe und Jeff Halper, zwei international renommierten jüdischen Wissenschaftlern und Kritikern der gegenwärtigen israelischen Politik, und ihren Berichten über die jüngsten Debatten und Aktionen sowohl in Israel als auch im internationalen Zusammenhang.
Die Nakba-AG hatte die Ausstellung einschließlich der Finanzierung organisiert. Sie war ad hoc gegründet worden und setzte sich zusammen aus Mitgliedern des Nahost-Forums Bremen, des Friedensforums Bremen, des AK Nahost, der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft, der Palästinensischen Gemeinde und dem deutschen Ableger des „Israelischen Komitees gegen Hauszerstörungen (ICAHD)“. Die Nakba-AG hat auf ihrer letzten Sitzung beschlossen weiterzumachen und die Aufklärungsarbeit Thema fortzuführen. Die nächsten Aktionen und Veranstaltungen werden schon geplant. Mehr Informationen mit weiteren Berichten, Videos und Audio-Mitschnitten auf
http://www.nahost-forum-bremen.de.
Detlef Griesche und Sönke Hundt, 08.04.2015