Gideon Levy, 04.03.2024
Es war eine Nacht des Todes und des Hungers. Als sie zu Ende ging, waren mindestens 112 Menschen getötet und weitere 760 verletzt worden. Israel versuchte, die Verantwortung zu leugnen – die Lastwagen hätten sie überfahren -, aber es kann nicht leugnen, dass es für das, was jetzt im Gazastreifen geschieht, verantwortlich ist: Israel ist dort die Besatzungsmacht.
Und nicht nur das: Dr. Mohammed Salha, der stellvertretende Direktor des Al-Awda-Krankenhauses in Gaza-Stadt, sagte der Associated Press, dass von den 176 Verletzten, die in die Einrichtung gebracht wurden, 142 Schusswunden hatten und die anderen 34 Verletzungen von einer Massenpanik aufwiesen. Ein Arzt des Shifa-Krankenhauses der Stadt sagte, die meisten der dort behandelten Personen hätten Schussverletzungen.
Soweit bekannt ist, schießen Lastwagen nicht. Und die Behauptung, dass es Hamas-Sicherheitsleute waren, die eine solch irrsinnige Menge an Munition in die Menge feuerten, ist ebenso unglaubwürdig wie die ursprüngliche Behauptung, dass es Palästinenser waren, die 2022 in Dschenin die palästinensisch-amerikanische Journalistin Shireen Abu Akleh erschossen haben.
Auch die von der IDF-Sprechereinheit verbreiteten bearbeiteten Videos zeigen nicht, dass Menschen von den Lastwagen getroffen werden. In den Videos fliehen die Menschen wie Insekten um ihr Leben – schwarze Punkte, die herumlaufen und mit wunderbarer Präzision die auf sie und ihr Leben gerichtete Haltung widerspiegeln – aber keines der Insekten wird überfahren.
23:30 Uhr: Auf Instagram sieht man Hunderte von Menschen, die sich um Lagerfeuer versammeln, um die Winterkälte zu lindern. Sie warten auf Lastwagen, die an dem Ort eintreffen könnten, an dem in den letzten Tagen Hilfsgüter verteilt wurden. Gegen 4 Uhr morgens macht sich ein Lastwagenkonvoi aus Ägypten, der den israelischen Kontrollpunkt passiert hat, auf der Al-Rashid-Straße auf den Weg nach Norden. Das israelische Militär spricht von 30 Lastwagen, ein Augenzeuge sagte der BBC, es seien 18 gewesen.
Gegen 4:45 Uhr wurde der Lastwagenkonvoi von einer Menschenmenge umringt, als er sich dem Nabulsi-Kreisel näherte. Die Videos der IDF zeigen vier von Menschen umringte Lastwagen sowie Menschen, die auf der Straße liegen. An der Seite sind Armeefahrzeuge geparkt. Al Jazeera zeigte ein Video, das teilweise im hinteren Teil des Konvois gefilmt wurde, in dem Schüsse zu hören sind und Menschen zu sehen sind, die auf die Lastwagen krabbeln oder sich hinter ihnen verstecken. Augenzeugen berichteten, die Schüsse seien aus der Richtung der israelischen Fahrzeuge gekommen. Der Zeuge Mahmoud Awadeyah sagte, die Israelis hätten jeden Zugang zu den Verwundeten verhindert.
Selbst wenn bewiesen wird, dass es IDF-Soldaten waren, die auf diese entsetzliche Versammlung geschossen und Hunderte von hungernden Menschen getötet und verwundet haben, wird sich niemand in Israel darüber aufregen. Es ist ein Krieg, wissen Sie; der 7. Oktober, nicht vergessen. Das minimale Mitgefühl für die Palästinenser ist in Israel am 7. Oktober völlig zum Erliegen gekommen und hat seitdem keine Lebenszeichen mehr von sich gegeben. Es liegt im Koma. Wir haben nur noch Mitgefühl für uns selbst, unsere Soldaten und unsere Geiseln, und alle anderen können von uns aus explodieren.
Und sie explodieren auch: die Gazaner buchstäblich und die Welt vor Wut. Die Gefahr, zum Paria zu werden, ist näher denn je: noch nie wurde Israel so denunziert, so verleugnet und so sehr gehasst wie heute. Man kann mit den Schultern zucken, aber bald wird es jeder Israeli spüren.
Was muss noch geschehen? Der Sprecher der Weltgesundheitsorganisation, Christian Lindmeier, sagte am Freitag, dass ein zehntes Kind in einem Krankenhaus in Gaza offiziell als verhungert registriert wurde. Was muss noch passieren, damit die Israelis aus ihrer Selbstgefälligkeit aufwachen und ihre moralischen Sensoren für das, was seit dem 7. Oktober passiert, aktivieren? Die Zeit, die in Israel an diesem Tag stehen geblieben ist, ist weitergegangen. Seit fast fünf Monaten steigt die Zahl der Toten, Verwundeten, Hungernden und Kranken im Gazastreifen immer weiter an. Es stellt sich heraus, dass selbst der Tod von 30.000 Menschen, zwei Drittel davon Frauen und Kinder, den Appetit auf Rache nicht stillen kann.
Wenn die Nacht des Todes und des Hungers, die Nacht, in der die Leichensäcke die Essenssäcke auf den Lastwagen ersetzten und in der sich Blut mit Mehl vermischte, den Widerstand gegen den Krieg in Israel nicht beflügelte, dann wird nichts Israel dazu bringen, innezuhalten, und sei es nur, um über seine Handlungen und deren Kosten nachzudenken.
Wenn schon nicht über den schrecklichen Preis, den die nichtmenschlichen Bewohner des Gazastreifens zahlen, so doch zumindest über den Preis, den Israel zahlen wird. Von hier an werden wir nur noch vergeblich flüstern: genug, es reicht.
Quelle: http://www.antikrieg.com