Emanzipation Europas erforderlich, sonst ungeheuerliche Kriegsgefahr

Nahostpolitik

Von

Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait, Juristin und Diplomatin a.D., 09.02.2015

Zum ersten Mal seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion werden wieder die NATO und die USA als größte äußere Bedrohungen der Sicherheit Russlands im Kreml beim Namen genannt. In der Tat gestalten die militärische Aufrüstung der Westallianz an den Grenzen Russlands und die Destabilisierung einiger Regionen durch Washington sichtbare Gefahren und werden im Kreml als Alarmsignale wahrgenommen. In diesem Zusammenhang beanspruchen die NATO und die USA für sich „globale Aufgaben“, die sie unter Missachtung des Völkerrechts verwirklichen.

Die USA und ihre NATO bedrohen den Frieden und die Stabilität Europas. Während die regierende politische Klasse und infiltrierte Medien immer weiter in ihrer Trance von Bewunderung und Unterordnung gegenüber den USA bevormundet erscheinen, lassen aufgeweckte intelligente Journalisten wie Maybrit Illner und andere hoffen, dass Deutschland endlich aus seinen Illusionen erwacht. Die Lage ist für Europa extrem gefährlich. Sie konnte ungehindert jahrelang eskalieren und ist nicht rechtzeitig gestoppt worden. Amerikanische Falken hatten freie Fahrt für ihre Inkursionen und Destabilisierungsversuche in Europa. Seit viel zu langer Zeit gestatten europäische Regierungen, dass die internationale Ordnung von einem UN-Sicherheitsratsmitglied, von einer Atommacht verletzt wird, eine Atommacht, die sogar nukleare Installationen in Europa hat und die nicht davor zurückschreckt, einen mittelbaren Nachbarn Deutschlands, Russland, zu schaden und zu bedrohen. Diese Zuspitzung stellt die Frage der europäischen Ordnung in den Mittelpunkt und damit die Frage der Souveränität und Unabhängigkeit Deutschlands und Europas. Zugehöriges Stichwort: Emanzipation. Die Redaktion der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“ hat diese Schlussfolgerung genau erfasst, und Maybrit Illner hat sie in ihrer ZDF-Talk-Show am 5.2. gut formuliert eingebracht.

Die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen war jedoch nicht vorbereitet oder hat nicht das Format, den Konflikt präzis und sachlich zu erfassen. Sie sieht den Anfang der Krise da, wohin ihre Entwicklung führte und nicht da, wo sie gemäß US-Plan orchestriert wurde, nämlich mit dem Putsch einer legitimen ukrainischen Regierung, die sogar ein Abkommen mit europäischen Außenministern als Garanten unterschrieben hatte (21. Februar 2014), ein Abkommen, das dadurch gewaltsam nichtig gemacht wurde. Für die deutsche Verteidigungsministerin existiert dieser Putsch nicht. Sie übersieht, dass dadurch der Außenminister ihres eigenen Landes, Walter Steinmeier, brutal desavouiert wurde. Eine weitere Fehleinschätzung von der Leyens ist ihre haltlose Forderung: „Russland muss an den Verhandlungstisch“. Weiß sie nicht, dass Russland keine Konfliktpartei ist? Nicht Russland, sondern die Kiew-Regierung muss an den Verhandlungstisch gemäß des Minsk-Abkommens. Gerade diese Konfliktpartei, die Kiew-Regierung, weigert sich aber bockig, mit ihren Landsleuten, den Vertretern der Donezk-Volksrepubliken zu verhandeln und entsendete deshalb keine Delegation zum Treffen in Minsk am 30. Januar. Damit sabotierte sie das Treffen und das Minsk-Abkommen. Darauf reagiert aber nicht die CDU-Ministerin Ursula von der Leyen. Das ist unverantwortlich und gefährlich. Solche Repräsentanten sind nicht in der Lage, die Situation realistisch einzuschätzen und sich folgerichtig zu äußern und zu handeln. Sind in ihrem Umfeld Personen platziert, die fremden Interessen folgen oder sind sie mit der Ukraine-Krise einfach überfordert?

Die seriöse Warnung vom ehemaligen Präsidenten Russlands, Michail Gorbatschow, ist sehr ernst zu nehmen, wenn er mit seiner Autorität wohl wissend erklärt (20.1.2015):

<Die USA haben uns in einem neuen kalten Krieg getrieben, und die USA werden es riskieren, auch daraus einen heißen zu machen.>

Die Maybrit-Illner-Redaktion versuchte, das Original-Zitat von Gorbatschow durch Kürzung zu entschärfen (<ich kann nicht sagen, dass dieser Kalte Krieg nicht zu einem ‚heißen Krieg‘ hinführen wird. Ich befürchte, sie könnten es riskieren>) und damit die USA vor Gorbatschows eigentlicher direkte Anschuldigung in Schutz zu nehmen, und nicht die ungeheuerliche US-Kriegsgefahr in Europa offen zu legen, von der Gorbatschow Klartext spricht. Aber die mediale Verbreitung von Nebel ist jetzt nicht länger zu dulden. Dafür ist die Lage in Europa in ihrer Gefährlichkeit zu sehr zugespitzt.

Die Fragen von Maybrit Illner hinsichtlich der Ukraine-Krise führen gewiss zu substantiellen Antworten für grundsätzliche Überlegungen, damit die richtigen Konsequenzen gezogen werden und die erforderlichen Richtigstellungen auf Regierungsebene erfolgen können.

<Wo unterscheidet sich Europa von dem, was die Amerikaner tun? Wo waren die europäischen Institutionen in diesem Konflikt, um auf einen solchen europäischen Konflikt zu reagieren? Wo ist die OSZE? Warum spielt sie überhaupt keine Rolle, sondern warten wir auf die NATO und auf ein Aufrüstungsprogramm der NATO? Kann die offensive Diplomatie der Bundeskanzlerin mit Unterstützung aus der USA rechnen?> Darüber hinaus die treffende Frage von Matthias Platzeck sinngemäß: <Sind die USA-Interessen mit den deutschen Interessen deckungsgleich?>

Die Verteidigungsministerin konnte diese Schlüssel-Fragen nicht intelligent und ehrlich beantworten. Ihr war es offensichtlich wichtiger, ihre Verbundenheit zur NATO-USA nicht infrage gestellt zu lassen. Aus Angst, Naivität oder Dummheit. Vielleicht ein wenig von jedem zugleich. Die politische Klasse erkennt immer noch nicht den wahren Charakter der NATO, nämlich eine kriminelle aggressive Vereinigung unter der Führung der USA zu sein. Mit der NATO setzen die USA an erster Stelle ihre fragwürdigen US-Interessen gegen alle anderen berechtigten Interessen und Widerstände durch, und wenn es sein muss, mit Inkaufnahme der Schädigung oder des Untergangs Europas. Das internationale Recht spielt sowieso keine Rolle für das Verhalten der USA, solange alle anderen mächtigen Regierungen sie gewähren lassen.

Die US-geführten westlichen Destabilisierungsversuche in Russland selbst, die Destabilisierung von Anrainerstaaten entlang der Grenzen Russlands und der Einsatz von NATO-Truppen in diesen Ländern sind als ernste Bedrohung und Fehlschritte anzusehen, was aber für die deutsche Verteidigungsministerin tabu ist. Ebenso das US-NATO-Raketenschutzschild. Wie kann eine deutsche politische Klasse so verblendet unter US-amerikanischer Bestimmung wirken, dass eine Verteidigungsministerin nicht einsieht oder nicht einsehen will, dass ein großangelegter Krieg gegen Russland immer wahrscheinlicher wird? Warum verweigert sie sich, die sichtbaren besorgniserregenden Signale und diversen Sicherheitsrisiken wahrzunehmen, die weiter wachsen? Ihre Verblendung grenzt an erbärmliche Unvernunft, als von der Leyen bei „Maybrit Illner“ sinngemäß sagte: „Wenn es hart auf hart kommt, werden wir an der Seite der USA sein.“ Als Begründung wiederholt sie völlig daneben die Litanei von Freiheit, Menschenrechten und Pressefreiheit, als ob es bei einem totalen Krieg nicht um die Existenz Europas ginge und als ob europäische Tote solche Freiheiten und Menschenrechte genießen könnten. So extrem der fehlende Realismus und die Unvernunft auf höchster Ebene der deutschen politischen Klasse.

Redaktionen mit aufgeklärten Journalisten sind jetzt aufgerufen, umfassenden Widerstand gegen diese Dummheit und Wehrlosigkeit der Bundesregierung vor der wahrnehmbaren fremden Gefahr zu artikulieren. Alt-Kanzler Helmut Schmidt hat den Ernst der Lage erkannt:

<Ich halte nichts davon, einen Dritten Weltkrieg herbeizureden, erst recht nichts von Forderungen nach mehr Geld für Rüstung der NATO. Aber die Gefahr, dass sich die Situation verschärft wie im August 1914, wächst von Tag zu Tag.> Helmut Schmidt am 15.Mai 2014.

Bedauerlicherweise war der Presseclub am Sonntag 8.1. eine Fehlbesetzung mit Stimmen von fragwürdigen „Journalisten“, die für ihre bedenkenlose Ergebenheit gegenüber den USA bekannt sind bis auf den Chefredakteur vom „Stern“. Jedoch niemand von einem führenden russischen Presseorgan, keine ausgewiesen kritische professionelle Journalisten wie Rainer Rupp oder der Ukraine-Experte Reinhard Lauterbach von der Tageszeitung „Junge Welt“. Das ARD-Fernsehen, Phönix und der WDR bleiben Sprachrohr von deutsch-amerikanischen Reaktionären. Würdelos verbreitete der Presseclub wiederholt die unverschämte Kritik eines Feindes Obamas, des Republikaners John McCain. Auf diese Weise sabotiert der Presseclub im besten Sinne der neokonservativen Clique Washingtons die offensive diplomatische Mission der Bundeskanzlerin schon am Vortag ihres Auftritts beim US-Präsidenten im Weißen Haus. Solche Redaktionen sind die fünfte Kolonne der US-Ultras, die verblendet von der US-Macht blind und dumm die Existenz Europas bedenkenlos aufs Spiel setzen.

Nicht verwunderlich, wenn sich der SPD-Außenminister Walter Steinmeier selbst auf der Münchner Sicherheitskonferenz am 8.2. als erster Saboteur in Szene setzt, einen Tag vor dem Zusammentreffen von Angela Merkel mit Barack Obama in Washington. Dominiert von Missgunst äußert sich Steinmeier undiplomatisch herablassend gegenüber seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow und verliert kein Wort der Würdigung und konstruktiven Unterstützung für die erfolgreiche Mission seiner Chefin, Bundeskanzlerin Angela Merkel. Im Gegenteil. Dagegen war die Rede vom US-Außenminister John Kerry auffällig diplomatischer und zutreffender: Die aktuelle Konstellation realistisch wahrgenommen und angemessen bewertet, wusste Kerry die Mission von Angela Merkel anzuerkennen, sprach kein Wort gegen Russland und bemühte sich den Eindruck zu erwecken, es existiere kein Keil zwischen den USA und Europa.

Dazu kontrastiert Steinmeier: Vor dem aus dem Bundeskanzleramt gemeldeten bevorstehenden Gipfel-Treffen auf Ebene von Staatsführern in Minsk (Frankreich, Russland, Ukraine und Deutschland) am kommenden Mittwoch 11.2. ventiliert der SPD-Funktionär seine Missgunst in seinem negativen, kontraproduktiven Satz: „Eine politische Lösung ist weit entfernt.“ Eine solche Banalität, einen solchen leeren negativen Satz zu lancieren, war völlig überflüssig und unangebracht angesichts des couragierten Engagements der Bundeskanzlerin zusammen mit europäischen Regierungsoberhäuptern. Walter Steinmeier ist nicht länger auf einem so wichtigen exponierten Posten zu halten. Die SPD hat andere, bessere Leute, die Deutschland viel würdiger und intelligenter als Außenminister repräsentieren können, vor allem jetzt in einer kritischen Stunde, die insbesonders Format, Realismus und Mut verlangt. Gernot Erler oder Matthias Platzeck wären hier gefragt. Wäre Parteipolitik mit ihren Koalitionen nicht so bestimmend, wären auch Mitglieder der Partei DIE LINKE im Gespräch für die Führung des Auswärtigen Amtes wie Sevim Dagdelen oder Jan van Aken. Sie alle wären zweifellos der diffizilen gefährlichen Stunde gewachsen, die Europa gerade erlebt.

Die USA haben sämtliche Brücken zu Europa abgebrochen. Es gibt nur noch Keile innerhalb einer transatlantischer Allianz, die nicht weiter bestehen darf. Der Frost, die grimmige Stimmung und die Keile zwischen den USA und Europa waren auf der Münchner Sicherheitskonferenz am 7.2. deutlich wahrzunehmen. Da war bezeichnenderweise zu sehen, wie die Rede der deutschen Bundeskanzlerin, in der Angela Merkel sich in aller Klarheit von der militärischen Aggressivität der NATO distanzierte, vom Vizepräsident Joe Biden, Außenminister John Kerry und dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko mit keinem einzigen Applaus gewürdigt wurde, nicht einmal mit ein paar Mal Hände-Klatschen aus Höflichkeit. Solche Unverschämtheit und respektlose anmaßende Haltung von höchsten US-Repräsentanten, die Gäste in unserem deutschen Haus sind und nichts anderes, musste der deutsche Außenminister Walter Steinmeier auch wahrgenommen haben, denn er saß neben seinem amerikanischen Kollegen.

Das Protokoll für die Münchner Sicherheitskonferenz hätte eine andere, der Angelegenheit angemessene Sitzordnung arrangieren müssen: Die zwei Amerikaner an der Seite Poroschenko oder Poroschenko in der Mitte zwischen den beiden. Und der deutsche Außenminister hätte neben dem französischen und russischen Kollegen sitzen müssen. Das hätte der aktuellen Konstellation nach dem gemeinsamen Moskau-Besuch der Bundeskanzlerin zusammen mit dem Präsidenten Frankreichs entsprochen. Hat sich der SPD-Außenminister von seinem plumpen US-amerikanischen Kollegen John Kerry auf der Stelle distanziert und seinen Konferenz-Platz neben ihm verlassen, als Kerry dermaßen für alle sichtbar frostig ablehnend auf die Rede der Kanzlerin reagierte?

Mit Entschlossenheit und Überzeugung im Interesse der Sicherheit des Kontinents muss Berlin aus der unheiligen Allianz so bald wie möglich austreten. Das ist eine notwendige Botschaft an den US-Präsidenten Obama, die er, Barack Obama persönlich, verstehen würde. Nur die unerwünschte perfide radikale Clique von Republikanern und extremen Neokonservativen, die im Interesse des industriellen Militärkomplexes und Wallstreet Obama andauernd bedrängen, würden in allgemeine Schreierei ausbrechen. Aber auch hier gilt die volkstümliche Weisheit: Lass die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter.