Sein Plädoyer für den Israel-Lobbyisten Volker Beck ist ein Rückzug auf ganzer Linie
Von Arn Strohmeyer, 02.12.2016
Der Publizist Jakob Augstein ist einer der renommiertesten deutschen politischen Kommentatoren, weil er mutig und mit Zivilcourage die Dinge offen beim Namen nennt, über die andere lieber beflissen schweigen. Wenn der Berufsstand der deutschen Journalisten ins Gerede gekommen ist, ihm kann man das am allerwenigsten anlasten. Der Mann schreibt „links“ im besten Sinne, den das Wort im politischen Sinne haben kann: aufklärend zu wirken. Aufklärung heißt: keine Denkhemmungen oder –verbote zu kennen, alles hinterfragen zu dürfen. Das Licht der Vernunft soll in jeden Winkel scheinen, um Ideologien, Aberglaube, Intoleranz, Vorurteile, soziale Ungerechtigkeit und Unterdrückung zu hinterfragen und zu überwinden. In der Tat ein hoher Anspruch, Jakob Augstein ist einer der wenigen deutschen Publizisten, die das können, denn Aufklärung hat in Zeiten wie diesen nicht gerade Hochkonjunktur.
Nun ergreift Jakob Augstein in einer Kolumne engagiert und leidenschaftlich Partei für den grünen Politiker Volker Beck, der in seinem Wahlkreis große Probleme hat, einen sicheren Listenplatz für die nächste Bundestagswahl zu bekommen. Mit anderen Worten: Er muss um sein Bundestagsmandat fürchten. Das passiert anderen auch, ist also eigentlich nichts Besonderes, sollte man meinen. Aber interessant ist, wie Jakob Augstein sein Plädoyer für Beck begründet:
„Ausgerechnet Beck! Er ist in der deutschen Politik immer noch die wichtigste Stimme für die Rechte der Homosexuellen. Er ist ein glaubwürdiger und entschlossener Kämpfer gegen Rassismus und Antisemitismus. Er setzt sich mit einer Leidenschaft, die nur noch wenige Linke mobilisieren können, für ein gutes deutsch-israelisches Verhältnis ein und hat gleichzeitig nie gezögert, die israelische Siedlungspolitik zu kritisieren. Kurz: Er gehört zum schmaler werdenden Rest seiner Partei, der das bürgerliche Erbe der Grünen noch glaubwürdig vertreten kann.“
Diese schmeichelhaften Sätze schreibt derselbe Jakob Augstein, der vor Jahren leidenschaftlich Günter Grass‘ Gedicht „Was gesagt werden muss“ verteidigte, das die Lieferung deutscher atomar aufrüstbarer U-Boote an Israel als Gefahr für den Weltfrieden kritisierte. Augstein war einer der wenigen Publizisten in Deutschland, die sich klar und deutlich ohne Wenn und Aber hinter den Autor der „Blechtrommel“ stellten. Außerdem hatte Augstein es in einer Kolumne gewagt, darauf hinzuweisen, dass nicht nur der Islam ein Problem mit seinen Fundamentalisten hat, sondern auch Israel. Er schrieb: „Israel wird von den islamischen Fundamentalisten in seiner Nachbarschaft bedroht. Aber die Juden haben ihre eigenen Fundamentalisten. Sie heißen nur anders: Ultraorthodoxe oder Charedim. Das ist keine kleine, zu vernachlässigende Splittergruppe. Zehn Prozent der sieben Millionen Israelis gehören dazu.“
Außerdem kritisierte er, was Israel mit seiner Abriegelungspolitik und seinen kriegerischen Überfallen im Gazastreifen angerichtet hat: „Gaza ist ein Ort aus der Endzeit des Menschlichen. 1,7 Millionen Menschen hausen da, zusammengepfercht auf 360 Quadratkilometern. Gaza ist ein Gefängnis. Ein Lager. Israel brütet sich dort seine eigenen Gegner aus.“ Später hatte er geschrieben, dass es Parallelen zwischen der Regierung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, dem französischen Front National und der deutschen Alternative für Deutschland (AfD) gebe. Wörtlich fügte er hinzu: „So rechts wie die deutschen Rechtspopulisten ist die Regierung von Benjamin Netanyahu allemal.“ Solche Äußerungen brachten ihm 2012 Platz neun auf der Antisemiten-Liste des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Los Angeles (SWZ) ein, die diese Institution jedes Jahr herausgibt. 2015 wurde er wieder auf der Liste unter der Kategorie „unehrenhafte Erwähnungen“ geführt.
Das alles ist reine Diffamierung oder Denunziation dieser ursprünglich so verdienstvollen Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Nazi-Verbrecher zu aufzuspüren, die der Justiz mit oder ohne Absicht entkommen waren. Heute jagt sie „Antisemiten“ oder solche, die sie dafür hält, wobei das einzige Kriterium die Antwort auf die Frage ist: Wie stehst Du zu Israels Politik? Völkerrecht und Menschenrechte spielen da keine Rolle, es gibt nur ein Für oder Gegen Israel. Die Weltsicht des Wiesenthal-Zentrums ist manichäisch in gut und böse aufgeteilt. Und da fand sich Jakob Augstein plötzlich – wegen einer völlig berechtigten Kritik an Israels Politik gegenüber den Palästinensern – auf der Liste der zehn schlimmsten Bösewichte! Aber er reagierte souverän: „Inzwischen muss man einen solchen Vorwurf nicht mehr ernst nehmen. Im Meer der hirn- und folgenlosen Injurien des Internets geht auch diese Beschimpfung einfach unter.“
Seitdem hat er das Thema Israel in seinen Kolumnen eher gemieden. Nochmal will er sich offenbar nicht die Finger verbrennen, obwohl es zu diesem Thema natürlich genug zu sagen und zu schreiben gäbe. Aber nicht nur das, nun setzt er sich für einen der rücksichtslosesten und aggressivsten Verteidiger der israelischen Politik ein – eben für Volker Beck, den einen Israel-Lobbyisten und fanatischen Zionisten zu nennen, sicher zutrifft. Kaum jemand im Deutschen Bundestag ist so schnell mit Antisemitismus-Vorwürfen bei der Hand wie er, wenn es jemand wagt, im Zusammenhang mit Israels Politik von Unrecht und sogar von Verbrechen zu sprechen. Eine Unterscheidung zwischen Judentum, Zionismus und Israel und damit auch die begriffliche Trennung zwischen Antizionismus und Antisemitismus kennt er nicht. Allein die furchtbaren Fakten der völkerrechts- und menschenrechtswidrigen israelischen Vorgehens gegen die Palästinenser wahrzunehmen, geschweige denn zu kritisieren, ist für ihn blanker schon Antisemitismus. Ihm geht jede humane Empathie für die wirklichen Opfer dieses Konflikts – die Palästinenser – ab. Eine merkwürdige Position in einer Partei, die vorgibt, sich für die Bürger- und Menschenrechte einzusetzen.
Für diesen Mann macht sich nun Jakob Augstein stark und lobt seine Haltung zu Israel in den höchsten Tönen. Wenn Volker Beck nicht im nächsten Bundestag säße, wäre das für die deutsche Politik kein großer Verlust, aber es wäre schade, wenn Jakob Augstein es nicht mehr wagen würde, das, was in Israel/Palästina geschieht, klar und deutlich beim Namen zu nennen.