Interview mit dem israelischen Journalisten Yotam Feldman über seinen Film „The Lab“ (Das Labor)
Von Arn Strohmeyer, 21.11.2013
Israel gehört, was nur wenige Menschen in Europa wissen, zu den bedeutendsten Rüstungsinnovatoren und –exporteuren der Welt. Die Umsätze in diesem lukrativen Industriezweig verdoppeln sich alle drei Jahre (zur Zeit 5,6 Milliarden Euro). Israel liegt bei der Waffenausfuhr global bereits an fünfter Stelle. Israels Rüstungsgüter sind deshalb so beliebt bei Militärs in aller Welt, weil sie auf dem neuesten technischen Stand sind und bei Kriegseinsätzen in den Palästinensergebieten getestet wurden. Sie sind also „battle tested“, haben sich auf dem Schlachtfeld – mit den PalästinenserInnen als Testpersonen – bewährt. Israelische Generäle preisen mit dem Argument des „battle tested“ auf den internationalen Märkten die Kriegsprodukte ihres Landes an. Der israelische Journalist Yotam Feldman geht in seinem investigativen Dokumentarfilm „The Lab“ (Das Labor) den Praktiken der Rüstungsindustrie seines Landes nach. Der Film bekam beim Dokumentarfilmfestival 2013 in Tel Aviv einen Preis. Feldman zeigt ihn z. Zt. in deutschen Städten.
Ihr Film ist ja auch für israelische Verhältnissen von großer Brisanz. Wie waren die ersten Reaktionen in Ihrem Land?
Der Film wurde in mehreren großen Städten Israels gezeigt, auch beim Dokumentarfilmfestival in Tel Aviv. Ich war selbst überrascht darüber, wie oft er inzwischen gezeigt worden ist, wie groß also das Interesse ist. Auch Leute von der Armee und der Waffenindustrie haben ihn gesehen. So hat er bei uns eine breite Diskussion ausgelöst, weil der Öffentlichkeit das Thema bisher kaum bekannt war. Es ist ein Tabu. Nur so kann ich mir das große Interesse erklären.
Sie sind erst seit wenigen Tagen mit Ihrem Film in Deutschland unterwegs. Wie waren die ersten Reaktionen?
Ich kann noch nicht allzu viel sagen, es waren bisher zu wenige Vorführungen. Wichtig ist mir aber, hier in Deutschland die Komplizenschaft der europäischen Staaten mit Israel aufzudecken, die Israel auf der einen Seite wegen seiner Gewaltanwendung und des Siedlungsbaus auf palästinensischem Gebiet kritisieren, aber keine Hemmungen haben, von Israel Waffen zu kaufen. So werden sie eben zu Komplizen Israels.
Ist es nicht ein Widerspruch, dass der Staat Israel sich auf der einen Seite als Staat der Überlebenden des Holocaust betrachtet, auf der anderen Seite aber mit führend in der Welt ist beim Erfinden, Produzieren und Ausführen von Maschinen, die ja Menschen töten sollen? Und es wird offen zugegeben, dass diese Waffen an den Palästinensern getestet werden. Wie steht es da mit der Moral?
Für die Israelis ist das kein Widerspruch. Sie sehen sich ja als Opfer des Holocaust. Und den Opfern muss erlaubt sein, Waffen zu produzieren, damit so ein Holocaust nie wieder passieren kann. Aber das ist natürlich ein moralisches Dilemma und genau das möchte ich mit dem Film zeigen.
Was sind die Gründe dafür, dass die israelische Waffenindustrie so einen enormen Aufschwung genommen hat?
Israel ist der einzige Staat auf der Welt, der mehr Waffen produziert als er selbst für seine eigenen Zwecke braucht. Es ist der sechstgrößte Waffenexporteur der Welt [die Zahl schwankt je nach betrachtetem Jahr, A.Str.] Die Waffen sind in der Qualität sehr gut, sie sind an lebenden Personen getestet und dann entsprechend verbessert worden. Das hervorragende Engineering, also das Knowhow, und die Tests haben den Erfolg der israelischen Rüstungsindustrie bewirkt. Daraus ist aber eine einseitige ökonomische Abhängigkeit entstanden, die sich nicht mit dem Bild verträgt, das Israel auch von sich selbst hat, eben ein Staat zu sein, der für den Frieden eintritt.
Sind die Palästinenser also die crash-test-dummies für die israelische Armee und die Rüstungsindustrie des Staates? Ist es also so: Wenn Israel eine neue Generation von Waffen entwickelt hat, braucht es unbedingt eine neue gewaltsame Auseinandersetzung mit den Palästinensern, um die neuen Waffen testen zu können?
Der Film ist für das israelische Publikum gemacht. Die Palästinenser sind darin kaum sichtbar. Aber sie sind zweifellos die Testpersonen. Das wirft die essentielle moralische Frage auf, wie die Israelis die Palästinenser sehen.
Israel hat mit seinen überlegenen Waffen eine ganz neue Art der Kriegführung entwickelt. Sie besteht darin, dem Gegner hohe Verluste an Menschen zuzufügen, die eigenen Verluste aber so klein wie möglich zu halten. Bestes Beispiel war der Gazakrieg 2008/09: 1500 Tote auf palästinensischer Seite, 11 bei den Israelis – und die zumeist durch eigenes Feuer. War der Gaza-Krieg ein Beispiel für Israels Waffentests an lebenden Personen?
Die Tests sind ein sehr wichtiger, aber nicht der Hauptgrund, Gaza mit neuen Kriegen zu überziehen. Aber 150 000 Arbeitsplätze sind von der israelischen Rüstungsindustrie abhängig. Krieg gegen Gaza ist eine sich wiederholende periodische Erscheinung. Das wird von den Israelis so akzeptiert. Es ist völlig „normal“ geworden, dass Israel Krieg führt und dabei Waffen ausprobiert.
Die Grenze zwischen der israelischen Armee und der Waffenindustrie ist sehr schmal, wenn nicht fließend. Übt diese Nähe nicht einen sehr negativen Einfluss auf die israelische Politik aus? Denn Politik und Militär sind ja auch sehr eng miteinander verbunden.
Es gibt wie gesagt mehrere Gründe, in Gaza Krieg zu führen. Die Waffenindustrie ist dabei nur ein Grund. Die Rüstungsindustrie hat aber eine sehr starke Lobby, die natürlich auch auf die Politik und die Armee Druck ausübt, damit die Waffen gekauft werden. Es handelt sich da um eine neue Art Kriegführung, weil der Krieg profitabel geworden ist. Es gibt auf der eigenen israelischen Seite kaum noch Verluste an Menschen und Material. Das ist eine sehr düstere Aussicht für die Zukunft. Denn es handelt sich im Falle Israels um eine Demokratie im dauerhaften Krieg. Demokratie und permanenter Krieg sind eigentlich unvereinbar und schließen sich gegenseitig aus.
Wie kommt es, dass die Mehrheit der Israelis nicht gegen diesen unglaublichen Zynismus protestiert, dass Waffen an Menschen ausprobiert werden?
Das haben wahrscheinlich die wenigsten Israelis wirklich gewusst, dass die Waffen an den Palästinensern ausprobiert werden. Das war einfach nicht bekannt. Deshalb habe ich den Film gemacht: um die Menschen über diesen Sachverhalt aufzuklären. Proteste gibt es deswegen nicht, weil die israelische Linke sich aufgelöst oder zersplittert hat. Der größte Protest im Land kommt von den Palästinensern.
Was ist die Botschaft Ihres Films für Israel und Europa?
Filme können die Welt nicht verändern. Ich möchte mit dem Film aber die Wahrheit ans Licht bringen und Diskussionen anstoßen. Ich möchte mit dem Film mahnen, dass Politik nicht profitorientiert sein darf. Sie soll solidarisch und moralisch sein. Den europäischen Staaten möchte ich ihre Heuchelei vor Augen führen, dass sie einerseits gegen Israels Politik protestieren, aber andererseits von diesem Staat Waffen kaufen und so die israelische Rüstungsindustrie und die Besatzungspolitik gegenüber den Palästinensern stützen und aufrechterhalten.
Arn Strohmeyer