Von Arn Strohmeyer, 11.11.2017
Es ist schon makaber, wenn man da in den Zeitungen liest, dass deutsche Kampfjets über Israel Manöver abhalten, und deutsche Diplomaten und Militärs davon schwadronieren, dass diese Übung „historisch“ sei. Denn zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust übten Kampfflugzeuge der deutschen Luftwaffe mit denen der Israelis in und über Israel, was eine „große Ehre“ sei. Vielleicht geben deutsche Kampfjet-Piloten bald auch ihren israelischen Verbündeten Geleit, wenn diese – wie es jährlich geschieht – mit ihren Bombern über Auschwitz donnern, um den dort von Deutschen Umgebrachten die Ehre zu erweisen.
Man muss an die Worte des kürzlich verstorbenen israelischen Friedensaktivisten Reuven Moskowitz denken, der immer wieder betont hat, wie fruchtbar und segensreich die deutsch-jüdische Symbiose einst gewesen sei, heute könne man sie aber nur noch „kriminell“ nennen. Er meinte damit nicht zuletzt auch die enge militärische Zusammenarbeit. Die meisten Juden fühlten sich heute als ultimative Opfer, auch wenn sie eigentlich schon Täter geworden seien.
Und die Deutschen nähmen – so Moskowitz – eine Schuldidentität an, auch wenn sie gar keine Täter mehr seien. Die Folgen seien katastrophal: Die deutsche Außenpolitik habe sich vollständig Israels Interessen untergeordnet, das heißt sich seiner „Sicherheitspolitik“ unterworfen, die seit der Staatsgründung 1948 gegen den Frieden gerichtet sei. Israel instrumentalisiere mit seiner Politik dabei den Holocaust, was äußerst gefährlich sei. Und Deutschland akzeptiere das ohne Widerspruch aus Angst vor dem Antisemitismus-Vorwurf. Moskowitz bezeichnete die heutige „deutsch-jüdische Symbiose“ deshalb als „pervertiert“. Und man muss konstatieren: Zu dieser „pervertierten Symbiose“ gehören auch die deutschen Kampfjets über Israel.
Die deutsch israelische Waffenbrüderschaft – natürlich immer unter Berufung auf den Holocaust – hat eine lange Tradition. Schon Anfang der fünfziger Jahre hatte sich Shimon Peres im Auftrag der israelischen Regierung an Franz-Josef Strauß mit der Bitte um deutsche Waffenhilfe gewandt. Die israelische Begründung: Deutschland – genau gesagt die Bundesrepublik – könne den Brückenschlag über die Vergangenheit weit voranbringen, wenn es Israel kostenlos Waffen liefere. Und Deutschland lieferte, wenn auch zunächst noch im Geheimen – bis die Sache publik wurde und es mit der arabischen Welt zur großen Krise kam (Abbruch der Beziehungen, Anerkennung der DDR durch die Araber, Ägypten lud den DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht zum Staatsbesuch ein).
Franz Josef Strauß hatte aber eine Rechtfertigung für die deutsch israelische Waffenbrüderschaft, natürlich auch unter Berufung auf den Holocaust. Er äußerte nach dem Juni-Krieg von 1967, in dem Israel weitere arabische und palästinensische Gebiete erobert hatte, dass die deutsche Lieferung von Waffen an Israel „nicht nur eine Pflicht der Wiedergutmachung ist, sondern dass eine Unterstützung Israels gerade auf dem Gebiet, wo es um Blut geht, moralisch und politisch von besonderer Tragweite sein muss. Weil Millionen Juden durch deutsche Waffen umgebracht worden sind, ist das ein Stück Wiedergutmachung auf dem ureigentlichen Gebiet, auf dem im deutschen Namen besonders gesündigt worden ist.“ Wiedergutmachung für den Holocaust durch die Lieferung von deutschem Tötungsgerät – das war die Moral der damals in Bonn Regierenden! Die umfangreichen Waffenlieferungen und die enge militärische Zusammenarbeit blieben eine Konstante in den Beziehungen bis heute.
Auf israelischer Seite hat der damalige Ministerpräsident Levi Eshkkol 1965 (dem Datum der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen) betont: Für Deutschland bedeute der Holocaust, „ewige Schuld“ auf sich zu nehmen, die deutschen Verbrechen an den Juden seien nicht sühnbar und erlegten Deutschland eine ständige moralische Verpflichtung auf, die vor allem darin bestehe, jeden möglichen Beitrag zur Stärkung Israels zu leisten, nicht zuletzt Israel bei der für seine Verteidigung nötigen Ausrüstung zu helfen. Diesen Anspruch hat die Bundesrepublik bis heute getreulich und widerspruchslos erfüllt. Eshkols Worte wurden sozusagen der Leitsatz der deutsch-israelischen Beziehungen.
Deutschland hatte dabei keine Probleme die Tatsache zu akzeptieren, dass Israel kein „normaler Staat“ war und ist, sondern ein kolonialistischer Siedlerstaat.
Denn das zionistische Projekt war von Anfang an mit allergrößter Gewalt (der Vertreibung und Unterdrückung der Palästinenser) verbunden – die deutsche Politik hat es nicht interessiert, sie wollte es wohl nicht wissen und hat es ganz bewusst nicht zur Kenntnis genommen. Und Deutschland hat auch widerspruchslos akzeptiert, dass Israel beanspruchte, der Vermächtnisverwalter des Holocaust zu sein und hat es entsprechend bevorzugt behandelt. Wie das zusammenpasst – Vermächtnisverwalter des Holocaust und aggressiver Siedlerstaat – die Frage ist von der deutschen Politik nie gestellt worden, zumindest nicht öffentlich und offziell.
Der absolute Höhepunkt der deutschen Israel-Politik in diesem Sinne war die Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel am 18. März 2008 vor dem israelischen Parlament (der Knesset) in Jerusalem anlässlich des 60jährigen Bestehens des Staates Israel.
Diese Rede war an Unaufrichtigkeit nicht zu übertreffen. Sieben Mal versicherte die deutsche Kanzlerin der israelischen Führung, dass beide Staaten für die gemeinsamen Werte Freiheit, Demokratie und Menschenwürde einstehen würden. Die „Besatzungsbarbarei“ (Moshe Zuckermann) sprach sie mit keinem Wort an. Dafür ging sie aber ausführlich auf die historische Verantwortung Deutschlands für Israel ein, der man verpflichtet sei. Sie sagte: „Diese historische Verantwortung ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar. Und wenn das so ist, dann dürfen sie in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte bleiben.“
Eine solche Formulierung wirft äußerst wichtige Fragen auf: Wenn es deutsche Staatsräson ist, dass die Sicherheit Israels nicht verhandelbar ist, muss Deutschland dann direkt oder indirekt an Israels Kriegen teilnehmen? Heißt das, dass ausschließlich Israels Definition von Sicherheit gilt, nach der sich Deutschland zu richten hat? Der Politologe Udo Steinbach befürchtete schon vor Jahren, dass Deutschland vor allem durch seine Waffenlieferungen an Israel in den nächsten Nahost-Krieg direkt verwickelt werden kann.
Aber die Konsequenzen der Äußerungen von Angela Merkel gehen noch weiter. Der Politologe Werner Ruf fragte nach der deutschen Verantwortung für die Palästinenser: „Heißt ‚Verantwortung für die Vergangenheit‘ nicht auch Verantwortung für die geschundenen Palästinenser, die für die industrielle Ermordung von sechs Millionen Menschen nicht verantwortlich sind, aber nun die Kosten des Völkermords der Nazis bezahlen sollen? Die einseitige Sicht nur auf Israel und seine auf weitere Landnahme gerichtete Politik dürfte andere Gründe haben: Die beschworene ‚Staatsräson‘ entpuppt sich flugs als Waschmittel der Vergangenheit des Einen und als Persilschein für die Rechtsbrüche des Anderen. Wer bedingungslos Israel unterstützt, kann doch kein Antisemit sein – wer es kritisiert, muss zumindest ‚sekundärer‘ Antisemit sein. So einfach ist die Rechnung, die die deutsche Vergangenheit so wunderbar entsorgt und der Rüstungsindustrie gigantische Aufträge verschafft, auch wenn der belieferte Freund doch wohl aktiver Teil eines Krisengebietes ist. Und Israel darf Völkerrecht und Menschenrechte mit Füßen treten, denn in der EU sorgt Deutschland dafür, dass auch nur die leiseste Kritik an diesem für die Nicht-‚Bewältigung‘ der Vergangenheit so wertvollen Freund unterbleibt. Dass diese Vorzugbehandlung Israels dem Antisemitismus neue Nahrung gibt, ist dann schlimmstenfalls ein Kollateralschaden ‚immerwährender Verantwortung‘.“
Diese Feststellungen und Warnungen sind im Oktober 2017 hoch aktuell geworden. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der dem Iran schon mehrmals mit einem Angriff gedroht hatte, kündigte an, dass Israel eine Situation nicht hinnehmen würde, in der das iranische Militär und die Hisbollah im Libanon und in Syrien nach einem Sieg Assads gegen den Islamischen Staat (IS) an Israels Grenze stehen würden. Er drohte ganz unverhohlen mit Krieg.
Üben die deutschen Kampfflieger über Israel schon, um in Israels Krieg gegen die Hisbollah und den Iran dabei zu sein?
Oder beim nächsten Krieg gegen Gaza?
Ist die „Stunde der Bewährung“ (Merkel) gekommen? In den Medienberichten heißt es denn auch: Die deutschen Piloten übten über Israel täglich 100 Einsätze gegen „Terroristen“. Wer das genau ist, geben die deutschen Politiker und Militärs nicht preis. Müssen sie auch nicht, man weiß ohnehin, wer gemeint ist. Die deutsche Staatsräson für Israels Sicherheit kann die Regierenden in Berlin politisch noch teuer zu stehen kommen.
Von Moral kann man ohnehin nicht mehr sprechen.