Wenn einer die Wahrheit sagt, gibt es Tumulte in der Knesset

Nahostpolitik

Von

Arn Strohmeyer, 13.02.2014

Was hat der EU-Parlamentspräsident eigentlich in der Knesset gesagt, was nicht der Realität entspricht? Nichts. Selbst die Nachrichtenagenturen berichteten übereinstimmend, Schulz habe eine „israelfreundliche“ Rede gehalten. In der Tat: Er hatte nur ein paar Fakten aufgezählt, die lange bekannt sind: Dass Israel den Palästinensern durch Mauern, Zäune und Checkpoints jede Bewegungsfreiheit nimmt; dass es den Menschen im Gaza-Streifen durch Israels Blockade besonders schlecht geht; dass Israel das Monopol auf Wasser hat, selbst verschwenderisch damit umgeht, den Palästinensern aber nur einen geringen Teil davon überlässt, den sie – obwohl die Wasserressourcen in ihrem eigenen Land liegen – auch noch überteuert bezahlen müssen und dass Israels illegal und völkerrechtswidrig gebaute Siedlungen das größte Hindernis für den Frieden sind. Bei diesem Thema drückte Schulz sich sogar noch sehr moderat aus: die Siedlungen seien zwar illegal, aber eine Realität und dafür müsse man eben eine Lösung finden.

Genau das war und ist die Intention Israels beim Bau dieser Dörfer und Städte: Fakten schaffen auf einem Boden, der diesem Staat nicht gehört, die Siedlungen dann für unumgänglich und irreversibel erklären. Die eigenen Grenzen werden dabei immer weiter ausgedehnt, was immer neue Sicherheitsprobleme schafft, die nur durch neuen Landraub gelöst werden können usw. usw. Wer das kritisiert, ist eben ein Antisemit oder Schlimmeres.

Die Reaktion der rechten Parlamentarier, die zumeist der Regierung angehören, war bezeichnend: nicht in einem Punkt gab es eine sachliche Erwiderung oder Widerlegung der Argumente von Schulz, sondern nur wüste, ausladende Beschuldigungen, antideutsche Ressentiments. und in diesem Zusammenhang völlig unpassende Berufungen auf den Holocaust, der wieder einmal dafür herhalten musste, Israels verhängnisvolle Politik zu rechtfertigen. Wenn dieser Staat – wie so oft beschworen – die „einzige Demokratie im Nahen“ ist (wogegen sich gute Argumente anführen lassen), warum ist dann eine sachliche Diskussion, wie unter Demokraten üblich, nicht möglich? Mit seiner Forderung, gegenseitige Kritik müsse in Demokratien doch eigentlich normal sein, stand der arme EU-Präsident da wie der einsame Rufer in der Wüste.

Was kann man aus diesem Eklat gegen Schulz folgern? Viele der maßgeblichen Politiker in Israel haben offenbar jeden Bezug zur Realität verloren, sie leben in einer ideologischen Wagenburg, in der sie sie sich selbst – abgeschottet von der Außenwelt –  ihre Gesetze des Handelns geben. Sie agieren nach dem Motto: Alle sind gegen uns – wir gegen den Rest der Welt! Die Isolation ist total. Humanität, Menschenrechte, Völkerrecht und UNO-Resolutionen – alles Teufelswerk von Antisemiten. Man darf daran erinnern, dass gegenwärtig sogenannte „Friedensverhandlungen“ unter amerikanischer Leitung stattfinden. Die Ausfälle der israelischen Politiker gegen Schulz beweisen – besonders die hasserfüllten Tiraden, wenn der EU-Parlamentspräsident auf die Nöte der Palästinenser zu sprechen kam – dieser Staat ist nicht friedensbereit und nicht friedensfähig. Sie wollen den Frieden ganz einfach nicht, sie können mit dem Status quo sehr gut leben. Die Bemühungen von US-Außenminister John Kerry sind vergeudete Zeit. Die Situation der Palästinenser ist eine ganz andere: Ihnen steht das Wasser bis zum Hals, ein gerechte Frieden wäre ihre einzige Chance. Aber den werden sie mit dieser israelischen Regierung nicht bekommen und eine andere ist nicht in Sicht.

Und die EU? Sie hat sich bisher in ihrer Nahost-Politik als zahnloser Tiger erwiesen. Und wenn Schulz in Jerusalem sagte, dass er nichts von einer Kennzeichnungspflicht für Produkte aus den besetzten Gebieten hält, lässt das ahnen, dass von diesem Europa in dieser Hinsicht nichts zu erwarten ist. Dabei wären massiver Druck bis hin zur Androhung von Boykotten und Sanktionen die einzigen Mittel, die Israel zum Stopp seiner auch für das eigene Überleben so gefährlichen Politik bewegen könnten.

Aber die EU wird trotz Schulz‘ mutigem Auftritt in Jerusalem der zahnlose Tiger bleiben, was die Israelis zur endlosen Fortsetzung ihres völkerrechtswidrigen Vorgehens ermuntert.

Die Perspektiven für den Nahen Osten sind ziemlich hoffnungslos.

Arn Strohmeyer