Keine Sicherheit des eigenen Staates auf Kosten der Sicherheit anderer Staaten

Nahostpolitik

Von Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait, Juristin und Diplomatin a.D., 02./03.02.2022

Gemeinsame Pressekonferenz von Wladimir Putin mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban im Kreml

Am Dienstg 1.2. erklärte Dmitri Peskow, Sprecher des russischen Präsidenten, laut TASS, die richtige Antwort auf die Ablehnung der russischen Sicherheitsvorschläge seitens der USA und NATO werde noch vorbereitet.

Am Dienstagabend 1.2.22 fand eine gemeinsame Pressekonferenz von Wladimir Putin mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban im Kreml statt. Dabei sagte Putin, dass der Westen auf das Prinzip der „Unteilbarkeit der Sicherheit“ in Europa keine Rücksicht nehme. Russlands Forderung nach einem Ende der NATO-Osterweiterung sei abgelehnt worden, kritisierte er.

<Sein Besuch sei „auch eine Art Friedensmission“, sagte Ungarns Premier laut TASS gegenüber Putin. Orban kündigte an, er werde in Moskau nun doch auch über die europäische Sicherheitsarchitektur reden. Es gehe um „Deeskalation“ und „Frieden“, und natürlich werde er sich mit den Verbündeten abstimmen. „Ich möchte Ihnen versichern, dass keiner der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten einen Krieg oder Konflikte will“.

Stationierung weiterer NATO-Soldaten lehnt Verteidigungsminister Ungarn ab

Parallel zu den freundschaftlichen Tönen in Moskau gab der Verteidigungsminister Ungarns Tibor Benkö in Budapest bekannt, es bestehe keine unmittelbare Kriegsgefahr, und Ungarn müsse an seine eigene Sicherheit denken. Die Stationierung weiterer NATO-Soldaten in Ungarn lehne man ab. (Ungarische Tageszeitung Magyar Nemzet) Der Premierminister Ungarns hatte sich immer wieder treffend geweigert, kritische EU-Resolutionen, die gegen Moskau gerichtet waren, zu unterzeichnen. Er demonstrierte der EU, dass er nicht auf sie angewiesen sei.

Nach Angaben Moskaus wird in den kommenden Tagen auch ein persönliches Treffen von Putin und Emmanuel Macron erwartet. Frankreich hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne. An diesem Mittwoch (2.2.) wird der britische Premier auch mit Putin telefonieren.

Aus dem Donbass selbst kamen beunruhigende Nachrichten: Der Generalstab der Ukrainischen Streitkräfte (UAF) habe seinen Plan für eine Offensive fertig gestellt.>

(„Klinkenputzen in Moskau“ von Matthias István Köhler, Junge Welt 2.2.22, Subtitel d.A.)

Stefan Kornelius berichtet in Süddeutsche Zeitung (2.2.22): <Am Dienstag 1.2. traf Johnson mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij zusammen: Dritter im Bunde war Polens Premier Mateusz Morawiecki. Hier kommen die treuesten Unterstützer des Landes, die anders als Frankreich oder Deutschland auch Waffen liefern. Die britische Ukraine-Politik ist dramatisch schillernd. Einseitige Waffenlieferungen an die Ukraine gegen den Willen Berlins und Sticheleien – angeblich nicht erteilte Überflugsrechte der Waffentransporter über Deutschland, geben der britischen Politik eine starke antieuropäische und nationalistische Note.> Hier haben wir es mit einem bekannten britischen Verhaltensmuster zu tun. Erinnern wir uns nur an Margaret Thatcher, die als Premierministerin die USA und Großbritannien einst in den ersten Irak-Krieg 1991 geführt hatte, dann Premier Tony Blair, der mit einem falschen Dossier made in London sein Land und die USA in den zweiten Irak-Krieg 2003 führte. <Die Botschaft ist kaum zu überhören: Wir müssen keine Rücksicht nehmen und bieten Russland offensiv die Stirn. In Kiew war sogleich von einer neuen Dreierallianz die Rede. Und britischer Verteidigungsminister Ben Wallace rüttelte in einem aufsehenerregenden Artikel die NATO wach und warnte in markigen Worten vor der russischen Gefahr, um gleichen darauf ein Treffen mit Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu anzukündigen – das dann allerdings doch nicht zustande kam. Beide, Wallace und die britische Außenministerin Liz Truss, gelten …als potentielle Nachfolger Boris Johnsons.“ Truss und Wallace werden nicht müde, den Schlachtruf von „Global Britain in action“ zu rufen. In Frankreich kommt das keineswegs gut an. Dort sind die Erinnerungen an das gescheiterte U-Boot-Geschäft mit Australien noch frisch. Im Herbst hatten Großbritannien und die USA die Franzosen heimlich ausgebootet und selbst den milliardenschweren Deal gemacht.> (Stefan Kornelius, SZ 2.2.22)

Richtschnur Europäische Sicherheitscharta von 1999

Immerhin zeigten Deutschland unter Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreich unter Präsident Emmanuel Macron wiederholt, dass sie eine Aufnahme der Ukraine in die NATO ablehnen. Diese Position, die auf Vernunft und Pragmatismus beruht, muss die EU-Staaten überzeugen, einen entsprechenden Vertrag mit Russland zu unterzeichnen. Die Europäische Sicherheitscharta von 1999 hält „das jedem Teilnehmerstaat innewohnende Recht“ fest, „seine Sicherheitsvereinbarungen einschließlich von Bündnisverträgen frei zu wählen“, aber sie mahnt gleichzeitig treffend, die Teilnehmerstaaten „werden ihre Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit anderer Staaten festigen.“ Mit anderen Worten, die Freiheit hat eine Begrenzung: Souveräne Länder dürfen sich nicht unvorsichtig oder gar feindlich gegenüber ihren Nachbarn verhalten, so sehr, dass sie die guten Beziehungen zerstören und sie als Gefahr und Bedrohung für den Frieden, also als Feinde wahrzunehmen sind. Ein solches törichtes Verhalten ist kontraproduktiv, denn es schafft weitere Gefahren und ist deshalb zu vermeiden. Sonst ergibt sich die unerwünschte aktuelle Lage, die die USA und ihre NATO herbeigeführt haben.

NATO den Vereinten Nationen untergeordnet – Rechtserkenntnis führt zwangsläufig zur NATO-Auflösung oder dem NATO-Austritt von Rechtsstaaten

Schon vor Jahren manifestierte der Außenminister Russlands kein Pardon für die wiederholten Völkerrechtsbrüche der USA: Die NATO-Bombenangriffe auf Jugoslawien 1999, die US-Aggressionen und Invasionen im Irak und Libyen, die NATO-Osterweiterung gegen Russland. Die USA und ihre NATO sind aufgerufen, diese gefährliche Lage aus der Welt zu schaffen und stattdessen partnerschaftliche Beziehungen zu allen Staaten auf der Grundlage des höchsten Mandats der Vereinten Nationen herstellen, ohne jegliche eigenmächtigen feindseligen Maßnahmen wie Sanktionen. Die NATO ist sowieso den Vereinten Nationen untergeordnet. Das heißt: Wenn eine Norm im NATO-Vertrag oder das Handeln im Auftrag der NATO mit den Normen der UN-Charta inkompatibel ist oder im Widerspruch steht, hat die UN-Charta vorzuherrschen. Diese eindeutige Rechtserkenntnis führt zwangsläufig zur NATO-Auflösung oder dem NATO-Austritt von Rechtsstaaten, wenn die Politik es mit der Charta der Vereinten Nationen ernst meint. Das Gewalt-Verbot ist Grundsatz bei den Vereinten Nationen. Die NATO setzt dagegen das Anwenden von Druck, Drohung und Gewalt voraus und führt es aus, wie es aktenkundig ist.

Politik, die auf Selbstbewusstsein, Egoismus und Exzeptionalismus beruht, bringt weder Respekt noch wahre Größe

<Jeder Staat hat seine eigenen politischen, wirtschaftlichen und sonstigen Interessen. Die Frage ist, mit welchen Mitteln sie geschützt oder durchgesetzt werden. In der modernen Welt ist es unmöglich, einen strategischen Gewinn auf Kosten anderer zu erzielen. Eine solche Politik, die auf Selbstbewusstsein, Egoismus und Exzeptionalismus beruht, bringt weder Respekt noch wahre Größe. Es wird natürliche und gerechtfertigte Ablehnung und Widerstand hervorgerufen. Infolgedessen werden wir weiterhin Spannungen und Unstimmigkeiten erleben, anstatt zu versuchen, gemeinsam eine sichere und stabile internationale Ordnung aufzubauen … Die Grundprinzipien der UNO sollten auf Jahre und Jahrzehnte hinaus gewahrt bleiben, denn kein anderes Gebilde ist in der Lage, die ganze Bandbreite der internationalen Politik abzubilden. Heute entstehen neue Einfluss- und Wachstumsmodelle, es entstehen zivilisatorische Allianzen, politische und wirtschaftliche Verbände nehmen Gestalt an.

Diese Vielfalt eignet sich nicht zur Vereinheitlichung. Deshalb müssen wir uns um eine Harmonisierung der Zusammenarbeit bemühen.> (Aus der Waldai-Rede von Wladimir Putin, 19. Oktober 2017)

Kein Pardon für die wiederholten Völkerrechtsbrüche der USA – Freiheit oder Souveränität nicht auf Kosten der Sicherheit anderer Staaten

Schon vor Jahren manifestierte der Außenminister Russlands kein Pardon für die wiederholten Völkerrechtsbrüche der USA: Die NATO-Bombenangriffe auf Jugoslawien 1999, die US-Aggressionen und Invasionen im Irak und Libyen, die NATO-Osterweiterung gegen Russland. Die USA und ihre NATO sind aufgerufen, diese gefährliche Lage aus der Welt zu schaffen. Höhnisch klingt dann Antony Blinken, wenn er nach allen diesen gravierenden Völkerrechtsbrüchen der USA die Unverletzlichkeit der Grenzen, Souveränität und territoriale Integrität von Staaten anmahnt, als ob ausgerechnet er als Vertreter der andauernd Vökerrecht brechenden USA die Welt darüber belehren könnte. Außenminister Lawrow stellte vor seinem Kollegen die Sache richtig: Die Freiheit oder Souveränität eines Staates darf nicht auf Kosten der Sicherheit anderer Staaten ausgeübt werden. Mit anderen Worten, souveräne Länder dürfen sich nicht unvorsichtig, respektlos oder gar feindlich gegenüber ihren Nachbarn verhalten, denn gerade das schafft unzählige Konflikte. Die Europäische Sicherheitscharta von 1999 legt dieselbe Mahnung auch fest.