Die leidige Frage: Wann ist Kritik an Israels Politik Antisemitismus?

Nahostpolitik

Von Arn Strohmeyer, 13.09.2016

Als im alten China einmal Unruhen und Chaos herrschten, empfahl der Philosoph Konfuzius (um 500 v. Chr.), dass man, um die Ordnung wiederherzustellen, erst einmal die Begriffe klären müsste. Ein weiser Ratschlag. Im erbitterten Streit in Bremen und anderswo zwischen Verteidigern und Kritikern der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern, sollte man auch erst einmal klären, was Antisemitismus in diesem Zusammenhang überhaupt ist. Die einfachste Definition ist: Antisemitismus ist Feindschaft gegen oder Hass auf Juden, unabhängig davon, was diese tun oder denken, einfach weil sie Juden sind. Antisemiten haben also in ihrer Vorstellungswelt bestimmte verleumderische und menschenverachtende Stereotypen, die sie auf lebende Personen übertragen. Jahrhunderte lang pflegten die Kirchen aus religiösen Gründen den Judenhass. Im 19. Jahrhundert setzte sich dann eine pseudowissenschaftliche biologische Konzeption einer „jüdischen Rasse“ durch, die besagte, dass Jude-Sein eine immanente zu verachtende unveränderbare Eigenschaft sei.

Beides, die menschenverachtenden Stereotypen und die pseudowissenschaftliche Rassenlehre, übernahmen die Nazis in ihre Ideologie und machten sie zur Grundlage der monströsen Verbrechen an den Juden (Holocaust). Was haben Kritiker der israelischen Politik mit diesem schrecklichen Antisemitismus zu tun? Gar nichts. Sie kritisieren, dass im israelischen Machtbereich – im Westjordanland und im Gazastreifen ( er gehört wegen der Besatzung völkerrechtlich immer noch zu Israel) – über vier Millionen Menschen leben müssen, die über keinerlei bürgerliche und politische Rechte verfügen, obwohl in der UNO-Charta das Selbstbestimmungsrecht der Völker absoluten Vorrang genießt. Den Palästinensern wird durch die israelische Siedlungspolitik ihr Land geraubt und sie müssen ihr Leben unter einer unerträglichen Besatzung verbringen. Sich für das Selbstbestimmungsrecht dieser Menschen einzusetzen, hat mit Antisemitismus gar nichts zu tun.

Kritik an Israels Politik ist nur dann antisemitisch, wenn sie die verleumderischen Stereotypen benutzt und das Vorgehen Israels gegen die Palästinenser mit diesen Stereotypen „erklärt“ oder „kritisiert“. Wird Israels Politik von einem universalistischen Standpunkt (also aus der Sicht des Völkerrechts und der Menschenrechte) kritisiert, kann das nicht antisemitisch sein. Welche Schlussfolgerung soll man sonst aus Holocaust ziehen als die Einhaltung dieser universellen Prinzipien zum obersten Gebot zu erklären?

Eine Lösung in diesem Sinne wäre auch für Israel die beste Überlebensgarantie.