Die Stunde der Heuchler

Nahostpolitik

Von Evelyn Hecht- Galinski, 16.10.2013

 

Nach dem arabischen Frühling, der in einen blutigen Herbst/Winter umgeschlagen ist, kommt jetzt die einer jeden Jahreszeit trotzende Kampagne von Israel und insbesondere von Ministerpräsident Netanjahu mit eigener Propaganda. Diese zu erwartende Neuauflage in alter Machart ist die Fortführung seiner missglückten Vorstellung vor der UN. Netanjahu will in seinem erneuten verzweifelten Versuch, Europäer und die Welt doch noch davon überzeugen, dass allein Israel und seine Hegemonie-Ansprüche die Welt sicherer machen.

 

Den Anfang machte ein Interview in der FAZ vom 11.Oktober, in dem Netanjahu vom Nahostkorrespon-denten H.C. Rößler interviewt wurde. Dieses sogenannte Interview war in meinen Augen ein „Pflichttermin“ für den israelischen Korrespondenten der deutschen Zeitung. Rößler ließ Netanjahu seine Thesen, wie: “ Ein schlechtes Abkommen ist schlimmer als gar kein Abkommen“, oder: „Eine schlechte Einigung würde bedeuten, Sanktionen aufzuheben, deren Verhängung Jahre brauchte….“, oder: „Iran das ist wie fünfzigmal Nordkorea“ in die FAZ stellen. Der wiederholte erneut seine bekannten Phrasen und betonte aber auch erstaunlich oft den Gleichklang seiner Forderungen mit den arabischen Staaten.

 

Das ist in der Tat mehr als verständlich, sind doch diverse arabische Staaten wie Jordanien, Ägypten oder die Golfstaaten und selbst die arabische Liga voll auf US-Kurs, bzw. hängen am Tropf der USA. Da kann man also auch die Empörung Ägyptens wegen der Kürzung der US-Militärhilfe als Rhetorik ohne Bedeutung beiseite stellen. Denn wie sieht diese Kürzung aus? Etliche Lieferungen von Rüstungsgütern werden „ausgesetzt“, bis auf weiteres gibt es keine US-Budgethilfe mehr, hatte Ägypten doch in letzter Zeit pro Jahr über 260 Millionen US $ frei verfügen können. Aber um wie viel die Hilfe tatsächlich gekürzt wird, bleibt im Dunkeln. Des weiteren wird die Hilfe nur verlagert, dass heißt intensiviert, um den Sicherheitsinteressen von Ägypten, den USA und Israel entgegen zu kommen. Dazu wird der „Antiterrorkampf“ und die Grenzsicherung auf dem Sinai vermehrt unterstützt und die langfristigen Beziehungen zu Ägypten und seiner Militär-Junta werden mit der weiteren Ausbildung von ägyptischen Offizieren in US-Militärakademien verstärkt.

 

Natürlich vermeidet die US-Regierung das Wort „Putsch“, im Zusammenhang mit der gewaltsamen Absetzung von Präsident Mursi wie der Teufel das Weihwasser, was den sofortigen Stopp sämtlicher Hilfsleitungen zur Folge haben müsste. Hier kommen wir auch wieder zurück auf Netanjahu und Israel, was so etwas natürlich vermeiden will, weil die Zusammenarbeit auch mit dem „neuen-alten“ Regime in Ägypten so reibungslos funktioniert.

 

Zurück zum Iran Interview in der FAZ: Die letzte Frage an Netanjahu wurde vom Korrespondenten nur indirekt gestellt, er ließ vielmehr Präsident Putin fragen, als der auf das israelische Atomwaffenarsenal zu sprechen kam. Da war Netanjahu in seinem Element und konnte mit israelischen Hasbara-Phrasen schwelgen, dass nicht die Nichtunterzeichner des Nichtverbreitungsvertrags (NPT) wie Israel, sondern die Unterzeichner wie Iran, Irak (natürlich unter Saddam Hussein) und Libyen das Problem wären. Denn diese hätten den Vertrag schamlos verletzt, im Gegensatz zu Israel, das noch nie einem anderen Land mit Vernichtung gedroht hätte – im Gegensatz zum Iran, der das getan habe! Ich frage mich, ob es eigentlich noch schamloser und heuchlerischer geht, wenn diese Behauptungen des israelischen Ministerpräsidenten unwidersprochen und ohne wirkliche Fragen in eine Zeitung gestellt werden?

 

Wahrscheinlich war das erst der Beginn der „Netanjahu-Festspiele“, vom Kriegstrommler zum Werbetrommler! Sechs „ausgewählte“ Medien wurden von Netanjahu mit solchen Interviews bedacht. Lobbyarbeit auf allen Ebenen mit europäischen Politikern und Medien, alles im Hinblick auf die kommenden Atom Verhandlungen mit Iran in Genf. Erfolgreich war Netanjahu auch beim französischen Präsidenten Hollande, der ihm telefonisch versicherte, weiter Druck auf Iran auszuüben und hart zu bleiben, auch in puncto Sanktionen. Netanjahu sieht sich eben als Verteidiger der Zukunft eines „jüdischen Staates“, als dieser natürlich anerkannt auch von den Palästinensern. Außerdem sieht er sich als Verhinderer eines Iran mit Atomindustrie. Er will nicht zulassen dass das geschieht und meint, unter seiner „Herrschaft“ werde es auch nicht dazu kommen!

 

Weitaus wichtiger als dieses FAZ-Interview wären detaillierte Berichte über die Schandtaten der israelischen „Verteidigungsarmee“ (IDF), die fast täglich auch vor Kindern nicht halt macht. 8-, 10-, 11-, 12-jährige werden von der IDF gekidnappt und wegen Steinewerfens angeklagt (so am 6. und 8. Oktober). So wurde einem kleinen palästinensischen Jungen, der am Arm seiner Mutter aus einem Bus ausstieg, ein Auge mit einem Gummigeschoss so schwer verletzt, dass er dieses Auge verlor. Lesen wir etwas über solche Vorfälle in den deutschen Medien? Aber sobald ein Siedler oder ein jüdischer Israeli von einem Palästinenser getötet wird, kann man das sofort in deutschen Medien lesen. Im Unterschied zu palästinensischen Einzeltätern, sind eben die organisierten israelischen Mörder keine frustrierten Einzeltäter, sondern Teile des zionistischen Besatzerregimes.

 

So drangen am 9. Oktober jüdische Siedler in ein palästinensisches Dorf ein, wollten eine Schule während des Unterrichts angreifen, was nur durch das beherzte Eingreifen der Lehrer und sich Einschließen mit den Kindern in der Schule verhindert werden konnte. Daraufhin zerstörten die randalierenden Siedler mehrere Autos palästinensischer Bewohner und verbrannten 400 Olivenbäume. War das der FAZ eine Meldung wert? Nein, aber die Tötung eines israelischen Reserveoffiziers, der vor seiner Siedlung von zwei Angreifern erschlagen wurde. Die IDF nahm mehrere tatverdächtige Palästinenser fest.

 

Natürlich ist jeder Tote einer zuviel, aber fragen wir uns, warum es zu diesen Vorfällen kommt? Ist nicht die Besiedlung und Besatzung, die Erniedrigung und Ungleichbehandlung der Unterdrückten die Hauptursache solcher Taten? Es ist eine Illusion, in einem Apartheidstaat sicher leben zu können! Ich persönlich wundere mich ehrlich gesagt sehr über die Leidensfähigkeit des palästinensischen Volks, das diese Zustände schon viele Jahrzehnte so stoisch und machtlos hinnimmt. Im Unterschied dazu wird von Israel sofort nach irgendeinem Vorfall angekündigt, die für Ende Oktober versprochene weitere Freilassung von palästinensischen Häftlingen zu stoppen. Schließlich würde diese „Geste des guten Willens“ von den Palästinensern nur als Zeichen der Schwäche ausgelegt werden, so der stellvertretende Außenminister Zeev Elkin.

 

Israelische Minister schüren den Hass, indem sie verkünden, nur eine Politik der „eisernen Mauer“ könne den palästinensischen Terror stoppen. Dies geschieht auch, wenn der israelische Wohnungsbauminister Uriel Ariel in einer „wahrhaft zionistischen Antwort“ nach der Tötung des Israeli ankündigt, den Siedlungsbau noch mehr zu verstärken. Doch dieser Minister von der Partei „Ein jüdisches Heim“ hatte schon im Juli verkündet 10.000 Siedlungseinheiten mehr zu planen. Solche Aussagen zeigen nur das zionistische Denken und den Friedensunwillen der israelischen Politiker. Ebenso wenn Netanjahu in dem erwähnten FAZ Interview treuherzig sagte: „Wir wollen Frieden“, genau daran zweifeln ließ er aber als er am Sonntag vor einer Woche, nach seiner Rückkehr aus den USA vor der Bar Ilan Universität in einer Rede behauptete, dass die Wurzel des Nahost-Konflikts nicht im Streit um das Land liege, sondern durch die Ablehnung der Anwesenheit von Juden in Israel durch die Palästinenser entstanden sei. Zwar erkenne die Palästinenserbehörde (PA) Israel als Staat an, das sei aber nicht genug Vielmehr müssten die Palästinenser das Recht der Juden auf Israel als eigene Heimstätte im Land ihrer Väter anerkennen und ihr Verlangen auf das Rückkehrrecht zurücknehmen. Solche unannehmbaren Forderungen zeigen ganz klar, dass es für die Palästinenser eigentlich völlig sinnlos ist, sich weiterhin mit israelischen Verhandlungspartnern dieser Regierung an einen Tisch zu setzen.

 

Wie lange wollen eigentlich palästinensische und israelische Politiker diese Verhandlungen noch als „Friedensgepräche“ verkaufen?

 

Wie frustrierend diese Situation für die Palästinenser sein muss, können wir alle kaum nachvollziehen, aber wir sollten weiter versuchen, diesen ungleichen und ungerechten Kampf für die palästinensische Sache durch Aufklärung zu unterstützen. Sie haben es verdient!

 

Evelyn Hecht- Galinski