Seit Tagen greift die israelische Armee den Gaza-Streifen an. Wir trauern um 83 getötete Palästinenser, darunter 17 Kinder und sieben Frauen. Mindestens 487 Palästinenser wurden verletzt. Die Angriffe dauern weiter an.
Was sind die Ursachen für diese Gewalteskalation?
Die aktuelle Eskalation der Gewalt ist die Folge der langjährigen israelischen Besatzung und mehrerer zusammenfallender Ereignisse, insbesondere der letzten Wochen in und um Jerusalem. Ein Auslöser ist die Vertreibung mehrer palästinensischer Familien aus dem Viertel von Sheikh Jarrah, in Ost-Jerusalem. Diese endgültigen Vertreibungen sind ebenso, wie der Siedlungsbau und die Häuserzerstörungen fester Bestandteil der israelischen Kolonialpolitik zur Judaisierung der Stadt. Ein israelisches Gesetz stützt die diskriminierende Gerichtsbarkeit mit dem Ziel der ethnischen Säuberung.
Hinzu kamen tägliche Provokationen und Schikanen seit Beginn des Heiligen Fastenmonats Ramadan durch radikale Siedler und die israelische Armee. Dazu gehörten: Sperrung des Platzes vor dem Damaskustor, Gewaltsames Eindringen des Militärs auf dem Haram Al-Sharif, Entfernung der Lautsprecherkabel in der Al-Aqsa-Moschee und Festnahmen friedlich Protestierender. Die gewaltsamen Übergriffe während des Ramadan hinderten hundertausende Gläubige an der Ausübung ihrer Religionsfreiheit. Auch Christen wurden vom israelischen Militär attackiert, während sie ihr Osterfest friedlich feiern wollten.
Der Status Quo von Jerusalem ist gem. dem internationalen Völkerrecht zu respektieren. Als Symbol ist er für alle Religionen heilig und unantastbar. Bereits vergangene Ereignisse in der Stadt zeigten, dass ein Funke ausreichend ist, um einen Flächenbrand zu entfachen.
Warum gab es keine Reaktionen auf die friedlich protestierenden Demonstranten?
Die palästinensische Bevölkerung in der Westbank und im Gaza-Streifen ist sowohl über den politischen Stillstand als auch das langjährige Wegschauen der Weltgemeinschaft verzweifelt. In den vergangenen Jahren hat sich für die unter Besatzung leidende palästinensische Bevölkerung die humanitäre Situation weiter verschlimmert und gefährlich zugespitzt: Unter dem früheren US-Präsidenten Trump wurde Israel eine Art Generalvollmacht für seine völkerrechtswidrige Siedlungs- und Kolonialpolitik erteilt, verbunden mit unilateralen Schritten, wieder bspw. der Anerkennung Jerusalem als Israels Hauptstadt, der Botschaftsverlegung und Einstellung der UNRWA-Finanzhilfen.
In ungeheurem Maße vorangetrieben, gingen mit dem Siedlungsbau die Häuserzerstörungen und Vertreibungen der palästinensischen Bevölkerung vor allem im besetzten Ost-Jerusalem einher. Die israelische Regierung hat die Corona-Pandemie mit ihren Einschränkungen zur Schaffung weitreichender Realitäten genutzt. Vor allem die junge Generation unter den Palästinensern hat gegen diese Maßnahmen protestiert und die Achtung grundlegender Rechte, die allen Menschen und damit auch den Palästinensern zustehen, eingefordert.
Ist nicht die Absage der Wahlen die Ursache für die Frustrationen unter den Palästinensern?
Nein. Wie kann es demokratische Wahlen geben, wenn nicht die gesamte palästinensische Bevölkerung Palästinas ihr Wahlrecht ausüben darf? Dieses Wahlrecht gilt auch für die palästinensische Bevölkerung in Ost-Jerusalem. Es ist gem. den Osloer Verträgen garantiert. Die israelische Regierung hat seit Bekanntgabe der Wahlen gezielt palästinensische Kandidaten im besetzten Ost-Jerusalem behindert, Versammlungen untersagt und damit jeglichen demokratischen Wahlprozess von Beginn an torpediert. Die Wahlen werden sofort stattfinden, wenn die palästinensische Bevölkerung in Ost-Jerusalem teilnehmen kann.
Steht ausschließlich Israel ein Verteidigungsrecht zu?
In diesem Konflikt stehen sich zwei völlig asymmetrische Parteien gegenüber: Auf der einen Seite Israel als Besatzungsmacht mit hochgerüstetem Militär und auf der anderen Seite die palästinensische Bevölkerung in der Westbank und im Gaza-Streifen. Letztere ist eine schutzlose zivile Bevölkerung. Schwierige Lebensbedingungen aufgrund der jahrelangen Abriegelung und die Pandemie-Bekämpfung haben die Resilienz der Bevölkerung geschwächt. Schon vor Jahren bescheinigten die Vereinten Nationen dem Gaza-Streifen für 2020 die Unbewohnbarkeit. Die Luftangriffe der israelischen Armee sind für die palästinensische Bevölkerung Gazas nicht neu, weil sie für die Menschen zum Alltag gehören. Sie haben in den letzten drei Tagen jedoch ein neues, tragisches Ausmass an Zerstörungen und zivilen Opfern, darunter Frauen und Kindern erreicht.
Wie kann die Gewalteskalation gestoppt werden?
Die Lage ist äußerst gefährlich. Alle kriegerisch-militärischen Handlungen gegenüber der Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen und in der besetzten Westbank müssen sofort gestoppt werden. Die Internationale Gemeinschaft muss ihrer Verantwortung gerecht werden und auf Basis von Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit intervenieren. Angesichts der tiefen Asymmetrie zwischen Besatzungsmacht und besetztem Volk ist es der einzige Weg, um ein erneutes Massaker an der Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen, aber auch weiter aufflammende Proteste der arabisch-palästinensischen Bevölkerung in Israel zu verhindern.
Quelle: Palästinensische Mission, 13.05.2021