Gaza Anfang Januar 2018

Nahostpolitik

Von Dr. Abed Schokry, Gaza, 10.01.2018

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und liebe Freunde,

Ein frohes neues, glückliches, gesundes, erfolgreiches und friedliches 2018 wünsche ich Ihnen und Euch.  Heute beginne ich meine Mail mit zwei guten Nachrichten. Die erste gute Nachricht ist, dass wir gestern für ganze ACHT Stunden ununterbrochen Strom hatten. Die Tage davor hatten wir lediglich für VIER Stunden Strom (alle 24 Stunden). Der Strom in Gaza kommt aus

Israel:              ca. 120 MW

Ägypten:           ca. 28 MW

Lokal erzeugt:  ca. 70 MW

Das ist ein schönes Gefühl, so viel Strom am Tag zu haben.

Die guten Schulnoten und Zeugnisse unserer Kinder sind die zweite gute Nachricht. Denn meine älteste Tochter, sie ist in der neunten Klasse, hatte ein ausgezeichnetes Zeugnis und ebenso ihre jüngere Schwester, die die fünfte Klasse besucht und ebenso unser Sohn, der in der zweiten Klasse ist. Das ist sehr erfreulich und gleichzeitig herausfordernd, denn wir wollen und müssen für unsere Kinder alles tun, was wir können. Das ist aber unter den lokalen Umständen leider kaum möglich. Aber, es gibt solche glücklichen Momente, in denen wir es schaffen weit über die Zäune & Mauern und über die Grenzen zu blicken und  zu träumen. Niemand kann uns diese Momente stehlen. Wir hoffen so sehr, dass unsere Kinder die Möglichkeit haben werden, auch andere Gegenden der Welt kennenzulernen.

Zur aktuellen Lage:

ABER vorab möchte ich zum Thema Jerusalem etwas sagen.

Seit dem 6. Dezember hat Trump angeordnet, dass die US Botschaft von Tel-Aviv nach Jerusalem verlegt werden soll, seitdem gibt es täglich Demonstrationen gegen diese Entscheidung. Und weil ich mutig bin, sage ich OK zu dieser Entscheidung von Trump-Yahu. Allerdings ist die Entscheidung nur dann akzeptabel, wenn sie sich auf WEST-JERUSALEM und NICHT auf die ganze Stadt bezieht, denn es gibt de facto einen östlichen Stadtteil Jerusalem, wo mehrheitlich die Palästinenser leben und wohnen. Ich bin übrigens nie dort gewesen, weder in der Westbank noch in Jerusalem. Wir Palästinenser werden nie darauf verzichten, dass OST-JERUSALEM unsere Hauptstadt ist!

Die Inner-Palästinensische Versöhnung geht irgendwie weiter. ABER ein Schritt vorwärts und manchmal dann drei Schritte rückwärts. Diese Unklarheit bleibt nicht ohne Konsequenzen für unser alltägliches Leben. Der Grenzübergang zu Ägypten ist leider immer noch geschlossen, obwohl die permanente Öffnung in Aussicht gestellt worden war. Seitdem die Verwaltung an die PA übergeben wurde, war dieser Grenzübergang nur ein einziges  Mal geöffnet. Das ist sehr enttäuschend. Die unsichere Lage auf dem Sinai mag ein Grund sein, dass die Grenze bisher nahezu fast immer geschlossen ist und sehr viele Menschen am Übergang auf die Ausreise wegen medizinischer Notwendigkeit oder aus anderen Gründen warten.

In Bezug auf den Status der Angestellten, die nach 2007 durch die damalige Hamas-Regierung eingestellt worden sind, wurde bis heute keine Einigung zwischen Hamas und Fatah erzielt. Das ist insofern sehr prekär, weil diese Personen seit fast zehn Jahren als Angestellte der Hamas Regierung gearbeitet haben. Seit Jahren haben sie kein einziges Mal das vereinbarte Monatsgehalt vollständig erhalten. Im Oktober 2017 wurden 40% des Gehalts ausgezahlt. Für die Monate November und Dezember 2017 wurde bisher noch gar kein Gehalt gezahlt. Davon sind alle Angestellten im zivilen wie im nicht zivilen Bereich betroffen.

Letzte Woche haben viele private Geschäfte gestreikt und die Läden nicht geöffnet, da ihre Einnahmen die Ladenmieten und die sonstigen Kosten nicht mehr decken. Die wirtschaftliche Lage in Gaza ist katastrophal. Die Arbeitslosenquote liegt bei Jugendlichen bei ca. 80 %. Es gibt im Gazastreifen allein ca. 250,000 Arbeitssuchende mit universitärem Abschluss, Bachelor oder höher.

Dann lese ich und höre ich, was Trump-Yahu noch vorhaben.

Sie wollen die Hilfsorganisation UNRWA nicht mehr unterstützen. Das würde nicht nur in den Flüchtlingslagern in Gaza und in der Westbank katastrophale Folgen haben, sondern ebenso in den Lagern in Jordanien, Syrien und im Libanon.

Wir werden in Gaza mit Sicherheit nicht die einzigen sein, die durch solche Entscheidung leiden werden. Und da die Menschen nichts mehr zu verlieren haben, sind sie möglicherweise zu allem bereit. Das verheißt nichts Gutes und macht mir Angst.

Ebenso beunruhigend sind die Todesurteile gegen Palästinenser und der Beschluss der Likud Partei, die Partei des amtierenden Ministerpräsidenten, die Westbank zu annektieren und als Gebiet des Staates Israel zu deklarieren.

Wieder einmal verstehe ich die Welt nicht mehr, denn Hamas hat ihre Charta geändert und akzeptiert einen Palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 und was macht die Likud Partei?

Ich sehe keine Bereitschaft Israels für eine Zwei-Staaten-Lösung.

Alle Aktionen scheinen auf ein Groß-Israel hinzusteuern. Und was würde das für uns Palästinenser bedeuten? Will man uns vertreiben, deportieren oder, oder, oder??? Manchmal wache ich mit schrecklichen Alpträumen in der Nacht auf. Es ist schwer, tagein und tagaus mit all den Einschränkungen zu leben. Besonders schwer ist es aber die permanente Unsicherheit und Bedrohung auszuhalten. Andauernder Stress macht krank. Ich lebe seit zehn Jahren wieder in Gaza.

An stressfreie Zeiten kann ich mich nicht erinnern.

Ich gebe nicht auf und habe vor, im Sommer um den 20. Juni herum für ca. 6 – 8 Wochen nach Deutschland zu kommen. Im vergangenen Jahr war es nicht möglich aus Gaza rauszukommen. Mein Forschungsstipendium ist freundlicherweise auf das Jahr 2018 übertragen worden. Ich weiß nicht, ob die Grenze geöffnet sein wird. Aber ich plane einfach so, als würde es klappen. Wie sagt man auf Deutsch: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Ich freue mich, Sie und Euch dann im Sommer persönlich zu treffen verbleibe

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

Dr. Abed Schokry