Gipfel der Absurdität

Nahostpolitik

Von Arn Strohmeyer, 28.11.2015

In der CDU ist jetzt der Vorschlag gemacht worden (er soll auf dem bevorstehenden Parteitag diskutiert und zur Abstimmung gestellt werden), allen Flüchtlingen (Migranten) in Deutschland die Integration zur Pflicht zu machen. Wie das auf Befehl oder durch staatliche Verordnung geschehen soll, darüber mag man in dieser Partei noch streiten. Der zweite Vorschlag stellt dann aber den Gipfel der Absurdität dar: Die Migranten – und damit sind in diesem Fall natürlich in erster Linie die Araber gemeint – sollen unterschreiben, dass sie das Existenzrecht Israels anerkennen, andernfalls sollen ihnen soziale Leistungen entzogen werden.

Dazu muss man drei Anmerkungen machen: 1. Im Völkerrecht gibt es keine Anerkennung des Existenzrechts. Wenn ein Staat einen anderen anerkennt, dann erkennt er natürlich auch dessen Existenz an. 2. Nimmt man die Anerkennung des Existenzrechts ernst und sieht sie nicht als eine israelische Propagandafinte an, dann muss man doch fragen: welchen Staat Israel in welchen Grenzen soll man anerkennen? Israel ist der einzige Staat auf der Welt, der auch nach fast 70 Jahren seiner Existenz noch keine festen Grenzen hat, weil er ständig auf Expansion ausgerichtet ist. Soll man also den Staat in den Grenzen vor 1967 (innerhalb der Grünen Linie) anerkennen oder einen Staat, der seine Grenzen irgendwo zwischen Mittelmeer und Jordan hat? Genaues weiß man nicht.

Und 3. – Dieses Argument wiegt sehr schwer: Die Araber bzw. die Palästinenser sind in israelischer Sicht „Terroristen“ gleich „Antisemiten“ gleich „neue Nazis“. Siehe Netanjahus (nur halbherzig auf Druck von außen zurückgenommene) Behauptung, der Mufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, sei für den Holocaust an den europäischen Juden verantwortlich.

Sollte die CDU-Forderung offizielle deutsche Politik werden, würde man kritiklos die israelische diffamierende Sicht auf Araber übernehmen und alle arabischen Flüchtlinge – besonders natürlich Syrer und Palästinenser – unter den Generalverdacht stellen, dass sie Antisemiten seien. Mit ihrer Unterschrift sollen sie also gezwungen werden, abzuschwören. Das erinnert an die mittelalterliche Inquisition. Es bedarf keiner großen Fantasie zu vermuten, woher diese Forderung kommt.

Zum Beleg, wie absurd diese Forderung der CDU ist und dass sie erst neuerdings aus der Trickkiste der israelischen Propaganda hervorgeholt worden ist, seien zwei Zitate israelischer Spitzenpolitiker angeführt. Im Juni 1977 erklärte der frisch gewählte israelische Ministerpräsident Menachem Begin bei der Vorstellung seines Kabinetts in der Knesset: „Ich möchte hier feststellen, dass die Regierung Israels keine Nation, sei sie nah oder fern, mächtig oder klein, darum ersuchen wird, unsere Existenz anzuerkennen. Es käme keinem Briten oder Franzosen, keinem Belgier oder Niederländer, keinem Ungarn oder Bulgaren, keinem Russen oder Amerikaner in den Sinn, für sein Volk die Anerkennung seines Existenzrechts einzufordern. Ihre Existenz bedeutet per se ihr Recht zu existieren. Dasselbe gilt auch für Israel.

Ganz ähnlich argumentierte der frühere israelische Außenminister Abba Eban. Er schrieb in einem Artikel, der am 18. November 1981 in der New York Times erschien: „Niemand erweist Israel einen Dienst, indem er sein ‚Existenzrecht‘ proklamiert. Es ist beunruhigend, dass so viele, die Israel wohl gesonnen sind, diese verächtliche Formulierung im Munde führen. ‚Israels Existenzrecht‘ ist wie das der Vereinigten Staaten, Saudi-Arabiens und das von 152 anderen Staaten ein Axiom und gilt uneingeschränkt. Die Legitimität Israels ist nicht in der Schwebe und wartet darauf anerkannt zu werden.

Damals stand also für führende israelische Politiker fest, Israels Recht auf Existenz als gegeben zu betrachten – etwas, das außer jedem Zweifel steht. Sie wiesen jede Vorstellung zurück, dass Israel irgendjemanden brauche, der ihm seine Existenz bestätigt. Wer Israels Existenzrecht aber ständig einfordern zu müssen glaubt wie jetzt die CDU, hat wohl doch Zweifel und muss sich selbst vom Gegenteil überzeugen.

Interessant ist, wie der britisch-jüdische Philosoph Brian Klug die Forderung nach der Anerkennung des Existenzrechts einschätzt. Er schreibt: „Im Übrigen unterstellt die andauernde Betonung seines Existenzrechts, dass Israel unter einer andauernden Bedrohung seiner Existenz steht – entweder durch die Palästinenser und durch Staaten der Region. Das trägt dazu bei, eine ganze Weltanschauung – „wir gegen die Welt“ – zu verstärken und zugleich die militaristische Denkweise, die sie unweigerlich nach sich zieht. Dies legt nahe, […] dass diese beständige ‚existenzielle Bedrohung‘ jegliches illegale Vorgehen Israels und jede seiner umstrittenen Maßnahmen rechtfertigt.“ Und weiter schreibt Klug: „Wenn Israel seine kriegerische Haltung nicht ändern kann; wenn die Mentalität des fortgesetzten Krieges weiterhin vorherrscht, bei dem sich jedes Geplänkel zur Schlacht um das Überleben des jüdischen Volkes auswächst; dann werden die Konsequenzen für Israel ebenso fatal sein, wie sie für andere tödlich sind. Die israelische Rhetorik von der ‚Existenz‘, die Teil seiner kriegerischen Haltung ist, gefährdet genau dies, seine Existenz. Um seine Zukunft zu sichern, braucht Israel niemanden – weder die Hamas noch Sie noch mich – , der sein Existenzrecht anerkennt.

Vielleicht sollten alle, die ständig die Anerkennung von Israels Existenzrecht im Munde führen, über diese Wort eines britischen Juden einmal nachdenken.