Von Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait, Juristin und Diplomatin a.D., 23.10.2021
Betr.: Außenpolitik in den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP
Niemals NATO-Bündnisfall, auch nicht nach dem 11. September 2001 (9/11)
Niemals gab es eine Aufforderung der USA für einen Bündnisfall, nicht einmal nach 9/11. Der US-Repräsentant war sogar nicht anwesend bei jener seltsam dreisten Allein-Erklärung des damaligen britischen NATO-Generalsekretär George Robertson. Es war auch nicht bekannt, ob der NATO-Rat zusammengetroffen war, bevor diese öffentliche Erklärung des britischen NATO-Administrators zustande kam. Aber bekannt wurde, dass es vorher gerade nicht zur Erklärung des „Bündnisfalls“ im Verlauf der NATO-Ratssitzung in Brüssel am Mittwoch 26.9.2001 zustande kam: Die NATO-Verteidigungsminister traten zusammen, ohne die Anwesenheit des US-Repräsentanten, um bei Vorlage von Beweisen den Bündnisfall zu beschließen. Der US-Botschafter glänzte durch seine Abwesenheit und die USA legten die entsprechenden Dokumente nicht vor, ob sie nun existierten oder nicht. Deutsche Medien unterschlugen dieses wichtige Ereignis. Sie waren entweder nicht vorbereitet, diese Umstände mit Scharfsinn richtig zu deuten oder aber mächtige deutsche Kreise wie die des Militärindustriekomplex, die in jedem Fall militärisch in Afghanistan und wo auch immer mitmischen wollten, konnten diese ungünstige Konstellation für die ihnen winkenden Rüstungsgeschäfte nicht gebrauchen und brachten ihren Einfluss zur Geltung, damit zu dieser Begebenheit nichts weiter verlautbart wurde.
Der NATO-Beschluss des Bündnisfalls hätte erst einmal eine neue Eskalationstufe erreicht. Keine Entschärfung. Mit oder ohne Beweise über Attentäter von außen wollte der US-Präsident keinen Bündnisfall ausrufen und entschied sich anfänglich für das Primat der Politik. Damit zeigte er Stil und Schule für ein Europa, das noch weit entfernt davon ist, allein diese weise Lehre zu erkennen und zu räsonieren. Falls damals 2001 der US-Präsident Bush und seine intelligente besonnene Außenministerin Condolezza Rice das Primat der Politik gelten lassen wollten, haben sich aber am Ende die Scharfmacher und Interessenvertreter des transatlantischen Militärindustriekomplex durchgesetzt mit ihrem Angriffsplan gegen Afghanistan, der vor dem 9/11-Attentat vorbereitet war. Eine US-Kriegsallianz von vorher nie dagewesener Anzahl von Staaten kam zustande, um über Afghanistan herzufallen. Wie es dazu kommen konnte, müsste weiter erforscht werden, denn möglicherweise hatte das Weiße Haus die Gefahren anfänglich gesehen und deshalb den Bündnisfall nicht zugelassen. Unter diesen Umständen waren die Angriffsbereitschaft und ihre Angriffshandlungen der SPD-Regierung von Kanzler Schröder höchst gravierend und völlig fehl am Platz. Statt als guter zuverlässiger, beratender Alliierter der USA handelte er als impertinenter unsinniger Angreifer im Interesse der deutschen Rüstungsindustrie.
Krise: Briten rüsten jetzt Ukraine weiter auf, NATO-Atomwaffenbomber am Himmel nahe Russlands, NATO-Generalsekretär in Washington
Und heute? Die jetzige geschmacklose niederträchtige Aktion der britischen Regierung, die Ukraine weiter militärisch aufzurüsten, bestätigt die armselige Lage Europas hinsichtlich einer menschlichen Kultur des Friedens. Der Geist eines britischen Premiers Sir Edward Heath wird in Großbritannien dringend gebraucht, um zur Vernunft und normaler Menschlichkeit zurückzukehren.
NATO-Flugzeuge mit Atomwaffen fliegen über der Ukraine, die an Russland grenzt, und die NATO bricht den Dialog mit Russland ab. Große Spannungen wachsen somit innerhalb des Bündnis. Die Krise geht so weit, dass der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach Washington reist, um mit dem US-Präsident Joe Biden die brenzlige Lage zu besprechen. Europa braucht dringend eine eigene Position hinsichtlich Russland. Es ist auch äußerst gefährlich, unsinnig und töricht, Atomwaffen, die nicht einmal den Europäer gehören, auf europäischem Territorium zu dulden. Europa gibt damit selbst seine eigene Sicherheit auf und nimmt die höchsten Risiken einer ungewollten Katastrophe in Kauf! Angesichts der zunehmenden Spannungen innerhalb der NATO in Bezug auf die Sicherheit, ist ein Fehler, ein Missverständnis wahrscheinlich, woraufhin die seit langem verbreitete antirussische NATO- und US-Propaganda in eine militärische Konfrontation mit Russland münden kann. Bevor das geschieht, ist es vernünftig und dringend angebracht, die NATO zu schließen gegen alle Widerstände des transatlantischen Militärindustriekom-plex. Die Macht dazu haben die USA. Die Administration Bidens darf diesen notwendigen Schritt nicht länger ignorieren im eigenen Interesse und im Interesse Europas.
London-Erklärung vom 6. Juli 1990: Gewaltverzicht
Es gibt eine dokumentierte einstimmig getroffene Vereinbarung der NATO-Länder über anerkannte zivilisatorische Werte und Prinzipien. Aus der London-Erklärung von 6.Juli 1990 ging eine klare Stellungnahme zum Gewaltverzicht hervor: „Wir bekräftigen unsere Absicht, uns der Androhung oder Anwendung von Gewalt zu enthalten, die…. auf irgendeine Weise mit den Zielen und Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen und mit der KSZE unvereinbar ist“. Die London-Erklärung 1990 wollte die Überzeugung und Willen der NATO-Länder für die friedliche Beilegung von Streitigkeiten festigen.
Absicht zum Mord, zum Angriffskrieg seitens USA und Briten außer Frage
Die Absicht zum Mord, zum Angriffskrieg seitens des transatlantischen Partners und der britischen Regierung steht außer Frage. Das Problem der Aggressoren, die Öffentlichkeit dafür zu gewinnen, ändert diese kriegerische Absicht nicht. Washington und London sind es gewohnt, „Beweise“ oder erfundene Vorwände zu manipulieren und sie zu konstruieren für eine labile, ungebildete Mediengesellschaft, die, orientiert an Konsum und Sensationalismus, skrupellos bereit ist, jede Lüge kopflos zu übernehmen.
Zu den Normen der internationalen Beziehungen zurückfinden
Dringend erforderlich ist die Normalisierung der USA, sie von ihrer Paranoia von angeblichen Feinden zu befreien, ihre Rückkehr in den rationalen guten Umgang mit allen Menschen und Völkern. An erster Stelle hat sich die US-Regierung und ihr Präsident zu Normen der internationalen Beziehungen zurückzufinden, sich zu besinnen auch gegen das Vorhaben seines Außen- und Verteidigungsminister und anderer Falken, die gegen jede Normalität und Besinnung handeln wollen. Die Verurteilung der aggressiven Haltung dieser Falken durch den UN-Weltsicherheitsrat könnte als Schock-Therapie für die USA-Genesung wirken.
Ukraine provoziert weiter Russland, mögliche Folge: Russland besetzt die Ukraine
Die Ukraine wird weiter Russland provozieren. Ihre Illusion, Mitglied der NATO zu werden, wird sich nicht verwirklichen. Kiew versucht deshalb, auf eigene Faust in den Krim, nämlich in Russland einzumarschieren. Eine treffende verständliche Antwort Russlands wäre, die Ukraine zu besetzen und sie in die Russische Föderation zu integrieren. Solche Antwort wäre völlig legitim als Reaktion auf einen völkerrechtwidrigen Angriff von Kiew. Ein Referendum könnte diese territoriale Integration konsolidieren. Die USA/NATO wird nicht als kollektive Antwort reagieren, weil die Ukraine kein NATO-Mitglied ist. Sich dessen im Klaren sendet das Vereinigte Königreich Waffen an die Ukraine. Die US-Regierung wird und will keinen Krieg mit Russland riskieren. Die deutsche Regierung auch nicht.
Deutsche Handlungsfähigkeit und deutsches Interesse
Handlungsfähigkeit gleichsam militärisch zu definieren ist nicht nur irrend sondern auch eine Gefahr für den Weltfrieden, eine Bedrohung, die begründete Furcht in der Welt auslöst. Nach der UN-Charta sind Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterlassen. Dieses Gebot gilt selbstverständlich für alle Mitgliedsstaaten der Organisation der Vereinten Nationen. Handlungsunfähig ist eine Regierung, die ihre Selbstständigkeit aufgibt, um sich ohne prinzipielle oder politische Grundlage auf dubiösem Terrain zu bewegen, aufgrund einer missverstandenen internationalen Solidarität. Wenn die Bundesregierung glaubt, Deutschland müsse bei Konflikten auch militärisch dabei sein, dann ist der Verdacht begründet, dass es auch darum geht, „deutsche Interessen“ zu sichern. Und das sind eben auch Wirtschaftsinteressen, was von manchen reaktionären Politikern ganz offen seit der 90er Jahre ausgesprochen wurde.
Die Formulierung des deutschen Interesses, die sogenannte Handlungsfähigkeit in der Weltpolitik, ist bei reaktionären Kreisen schlecht aufgehoben. Es scheint, sie wollten einfach die nächste Seite der Weltchronik der Katastrophen aufschlagen: Wieder Krieg, wieder Gewalt-Terror und Vernichtung, wieder eine Endlösung, dieses Mal mit militärischem High-Tech.
Richtige Kenntnis der Weltprobleme verlangt nach angemessenen Lösungsvorschlägen – Verantwortung nicht in Überlegenheitskategorien zeigen
Auch wenn westliche Industriestaaten militärisch und wirtschaftlich anderen Staaten überlegen sind, darf sich gerade auch deshalb die weltweite Verantwortung von ihnen, darunter Deutschland, nicht in Überlegenheitskategorien zeigen, sondern in der richtigen Kenntnis der Weltprobleme, die nach angemessenen Lösungsvorschlägen verlangen. Daran ist die Handlungsfähigkeit Deutschlands zu messen, und das ist es, was der nächste deutsche Bundeskanzler mittragen sollte.
Für die junge SPD-Generation unter Kevin Kühnert ist seit langem klar, dass kein einziges deutsches Interesse international durch militärische Mittel wahrgenommen werden kann. Eine SPD-Arbeitsgruppe hatte in den 90er Jahren ein außenpolitisches Papier gründlich erarbeitet, aus dem der verantwortungsvolle wie vernünftige Grundsatz zu entnehmen ist, den die SPD auch damals im Bundestag erklärt hat: Kein deutsches Interesse ist international mit militärischen Mitteln zu vertreten, ein fundamentaler Gedanke des deutschen Grundgesetzes.
Krieg kein Mittel der Politik, kein Instrument der Außenpolitik
In der deutschen Geschichte gibt es eine Tradition, die hauptsächlich die Sozialdemokratie verkörpert, die besagt, dass der Krieg eben kein Mittel der Politik, kein Instrument der Außenpolitik sein darf. Diese Tradition der Sozialdemokraten, kriegerische Mittel von der Politik kategorisch auszuschließen, ist eine der besten und wertvollsten Traditionen der Weltgeschichte, von der Europa und die Welt noch viel zu lernen haben. Die Sozialdemokraten Deutschlands täten gut daran, sich auf diese große humanistische Tradition ihrer Partei stärker zu besinnen. Die Grünen finden ihre Orientierung in der Gründungsidee ihrer Partei und in der leitenden Persönlichkeit, im selbstlosen Engagement von Petra Kelly für eine gewaltfreie internationale Politik.