Betr.: Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 6.11.: Kommentar „Snowden und Merkel – Das geht gar nicht“ von Daniel Brössler und „Das Sichere ist nicht so ganz sicher“ von Heribert Prantl, Rubrik Außenansicht: „Was uns Frau Merkel schuldet“ von Gerhart Baum, Junge Welt vom vom 5.11: „Getöse um die Ströbele -Initiative Intakte Atlantikbrücke“ von Werner Pirker
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Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait, Juristin und Diplomatin a.D., 08./09.11.2013
Bei der Diskussion über die NSA- Affäre bleibt der Kern der Sache, was Deutschland betrifft, unbeachtet, nämlich die Verletzung der Souveränität Deutschlands, sollte Deutschland souverän sein. Die Kanzlerin selbst übertreibt vollkommen die Bedeutung des Bündnisses, als ob eine Allianz über dem Grundgesetz stünde. Würde die Rechtswahrnehmung und das Rechtsverständnis das Bewusstsein deutscher Eliten prägen, wüsste die Bundeskanzlerin, Angela Merkel, dass das Grundgesetz der höchste Maßstab für ihre Handlungen ist. Kein Bündnis, keine Allianz, kein Land darf sich über das Grundgesetz stellen. Nicht einmal die Vereinigten Staaten von Amerika, auch wenn sie die NATO dominieren und dadurch mit allen Mitteln nach weiterer Weltherrschaft streben. Das Ziel oder Leitmotiv der maßlosen Überwachung durch NSA/CIA besteht gerade darin, die erzielte US-Hegemonie zu festigen. Das aber bleibt bei den meisten Stellungnahmen außer Acht.
Zu Recht schreibt der FDP-Politiker Gerhart Baum, ehemaliger Innenminister unter Bundeskanzler Helmut Schmidt: „Sie (die USA) haben eine Sicherheitsstrategie, die von unserer europäischen und deutschen weit entfernt ist. Terrorismusbekämpfung ist für sie Krieg, in dem wichtige rechtsstaatliche Schranken fallen… Bei allem geht es um die Menschenwürde. Es geht um das sittliche Prinzip, das unsere Verfassung und auch das Völkerrecht bestimmt – im Übrigen auch die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776!“ (SZ-Außenansicht: „Was uns Frau Merkel schuldet“ von Gerhart Baum, SZ, 6.11.)
Die Erklärung der Bundeskanzlerin: „Das transatlantische Bündnis bleibt für uns Deutsche von überragender Bedeutung“, und die Bundesregierung sehe auch keinen Grund, sich erneut mit der bereits im Juli abgelehnten Aufnahme des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden zu befassen (Meldung: Bundesregierung gegen Asyl für Snowden, SZ, 5.11.) und ein vollkommen schweigender SPD-Vorsitzender zeigen eindeutig, wie blamabel die deutsche Machtelite tickt und welche Feigheit gegenüber den USA von der zukünftigen CDU/SPD Bundesregierung in einer großen Koalition zu erwarten ist. „Für uns Deutsche“ zu sprechen, steht aber Merkel in dieser Sache nicht zu, denn das deutsche Volk hat bisher seine Souveränität nicht ausgeübt, obwohl es die Gelegenheit dazu hatte, sich als vereintes Volk für eine gesamte Verfassung auszusprechen und damit auch über den Verbleib Deutschlands in der NATO zu entscheiden. Gerade diesen souveränen Schritt haben die Amerikaner verhindert, indem sie die Regierung Kohl/Genscher dahin lenkten, bei der deutschen Einheit nach Art. 26. zu handeln und nicht gemäß Art.146 des Grundgesetzes eine neue Verfassung anzugehen. Das bleibt bis heute noch offen, sollte Deutschland seine volle Souveränität endlich erobern wollen. Dieses zentrale Anliegen muss von Medien und Politikern thematisiert werden, und zwar gründlich und sachlich. Der FDP-Politiker Gerhart Baum schuldet der deutschen Öffentlichkeit seine kompetenten Überlegungen darüber, denn er vertritt die beste Tradition des deutschen politischen Liberalismus von Thomas Dehler.
Die Beziehungen zu den USA sind dann neu zu ordnen, vorausgesetzt Deutschland wird endlich souverän, befreit von einer unwürdigen jahrzehntelangen Abhängigkeit. Aber die Merkel-CDU ist dieser Sache nicht gewachsen und außerstande, eine solche Emanzipation zu betreiben. Sie hat sich vollkommen der Vasallen-Rolle angepasst und folgt den USA auf allen Irrwegen ohne eigene Urteilsfähigkeit. Das geht jetzt sogar so weit, dass sie gegenüber den Enthüllungen von Edward Snowden über die Verletzungen der Menschenrechte der deutschen Staatsbürger und hinsichtlich der Überwachung vom Kanzleramt passiv und unentschlossen bleibt, und das öffentlich im Namen „des Bündnis“.
Wie kann man sich vor der ganzen Welt so lächerlich machen?
Eigentlich nur, wenn man erpressbar oder käuflich ist. Eine gute Portion Dummheit gehört sicherlich auch dazu. Immerhin kursiert in Europa der begründete Verdacht, dass fast alle europäischen Regierungsoberhäupter und deren wichtigsten Mitarbeiter in diese Kategorie fallen.
In diesem Zusammenhang verliert die CDU und das Bundeskanzleramt absolut das klare vernünftige Urteil über die Lage: Die Überwachung der Kanzlerin Angela Merkel ist nicht nur ein Angriff gegen sie als Regierungschefin, sondern auch als Person. Dieser Groteske kann nur die deutsche Bevölkerung ein Ende setzen. Mit Hilfe der Wahlen haben CDU/CSU/SPD und Grünen zu büßen. Denn auch die Grünen akzeptieren die US-Weltherrschaft bedenkenlos und sehen die NATO als heilige Kuh. „Ihr Vorsitzender Cem Özdemir ist immerhin Mitglied der <Atlantik-Brücke>“, eine Vorfeldorganisation zur Einflussnahme und Beobachtung im Sinne von US-Interessen. („Getöse um die Ströbele-Initiative – Intakte Atlantikbrücke“ von Werner Pirker, Junge Welt vom 5.11.)
Unter den herrschenden Umständen einer exorbitanten US-Unterwürfigkeit durch einen Bundestagsbeschluss Asyl oder ein Aufenthaltsrecht für den US-amerikanischen Whistleblower zu erzwingen, ist eine gefährliche Illusion, die fatale persönliche Konsequenzen für Edward Snowden haben könnte. „Denn um Snowdens Sicherheit dürfte es in Russland um einiges besser bestellt sein, als dies in Deutschland der Fall wäre… („Getöse um die Ströbele-Initiative – Intakte Atlantikbrücke“ von Werner Pirker, Junge Welt, 5.11.)
Den effektiven Rechtsschutz, den ein beispielhafter Aufklärer von Rechtsbrüchen einer US-Regierung benötigt, ist nicht in einem US-Satellitenstaat wie Deutschland zu erwarten, dessen Bundeskanzlerin sich zu einem illegalen Bündnis bekennt, anstatt sich primär für die Souveränität ihres Landes und das geltende Grundgesetz einzusetzen.
Das NATO-Bündnis ist grundsätzlich illegitim, wie das Urteil des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag vom 8.Juli 1996 belegt. Daher ist die NATO-Mitgliedschaft in einer illegitimen Organisation ebenso illegitim und als nichtig zu erklären. Aufgrund dessen ist Deutschland rechtmäßig verpflichtet, aus einem illegitimen Bündnis auszutreten. Dieser juristische Schluss, der den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit folgt, muss endlich Eingang in die öffentliche Debatte finden.
Dass Recht bisher kein Kriterium in Deutschland ist, was wirklich zählt, kann gefährliche Folgen haben. Gefährlich deshalb, weil so der Schutzcharakter von Recht nicht zuverlässig gewährleistet ist. Bis auf weiteres bleibt also die Rolle Deutschlands als Sekundant der USA inklusive aller schlimmen Verstöße gegen internationales Recht. Deutschlands Unterwürfigkeit vor dem amerikanischen Diktat zeigt sich dieser Tage blamabler und bedauerlicher denn je. Journalisten sollten aufwachen und nicht weiter an Illusionen über deutsche Demokratie oder in Träumereien über den guten amerikanischen „Freund“ schwärmen. Sie sollten nicht länger ihre Augen vor der nackten unschönen Realität verschließen. Eine begründete scharfsinnige Kritik, die auf Tatsachen beruht, befreit und öffnet neue Wege für die gemeinsame Sicherheit Deutschlands und seiner europäischen Nachbarn einschließlich Russland. Nur mit Russland, das zu Europa gehört, ist eine europäische Allianz vollständig zu begreifen. Eine internationale Politik unter der Dominanz des Gewaltfaktors führt nur zu weiteren Kriegen und Aggressionen.
Die Gefahr der heutigen internationalen Aktualität unter der Bestimmung eines Weltbeherrschers, der sich an keine Regeln hält, muss realistisch wahrgenommen werden. So schlimm diese Realität auch ist, so inakzeptabel ist sie für jeden europäischen Staatsmann mit Format, der von Europa und von der Welt anderes will, nämlich die Herrschaft zivilisierter Normen, die das Miteinander unter Staaten und Nationen regieren sollte, insbesondere wenn die mächtigste Nation der Welt an der Demontage ihrer Demokratie leidet.
Heribert Prantl klärt in seinem Artikel „Das Sichere ist nicht so ganz sicher“ (SZ, 6.11.) ausführlich und präzis über die juristische Möglichkeit auf, wie eine Vernehmung Snowdens in Moskau funktionieren kann. „Der Untersuchungsausschuss kann zur Vernehmung des Zeugen Snowden auch einen Ermittlungsbeauftragten heranziehen… Es könnte sich um einen ehemaligen Staatsanwalt oder Richter handeln, die (als solche Beauftragte) die Untersuchung durch den U-Ausschuss vorbereiten. Die rechtliche Beurteilung obliegt zunächst dem Oberlandesgericht; bei einem Aufenthalt Snowdens in Berlin wäre dies das Kammergericht. Wenn es die Auslieferung für zulässig hält, kann die Bundesjustizministerin diese immer noch ablehnen. Sie könnte auch schon vorab erklären, dass sie auf jeden Fall eine Auslieferung Snowdens ablehnt.“ Aber gerade diese souveräne rechtmäßige Festlegung vermeidet die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bei allen ihren öffentlichen Auftritten.
Dieses fehlende Entscheidungsvermögen bei hohen deutschen Verantwortungsträgern in der Bundesregierung signalisiert äußerst krass, wie heftig unterworfen und feige sie gegenüber den USA sind. Es ist dieser fehlende politische Willen, souverän zu handeln, was alle Plädoyers für einen Aufenthalt von Edward Snowden in Deutschland ins Leere laufen lässt. Solche Plädoyers, die jetzt von vielen Persönlichkeiten aus der Mitte der Gesellschaft vorgetragen werden, beweisen lediglich die Naivität oder Realitätsfremdheit der Befürworter, auch wenn sie mit der besten Absicht in die Öffentlichkeit gehen und theoretisch richtig liegen. So wie die USA, ist auch Deutschland kein funktionierender Rechtsstaat mehr, weil es sich auf die illegitime Bahn eines aggressiven Bündnisses begeben hat.
Soll der Überwachungsskandal etwas Konstruktives bewirken, ist der politische Wille der Verantwortungsträger gefragt. Konkrete Schritte sind in Gang zu setzen, um die volle Staatssouveränität und die Emanzipation der deutschen Republik zu erlangen.
Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait