Offener Brief der Botschafterin Palästinas an Journalisten und Pressevertreter

Nahostpolitik

In einem offenen Brief wendet sich Botschafterin Dr. Daibes an Journalisten und Pressevertreter in Deutschland. Sie finden den Brief nachfolgend in deutscher und englischer Sprache.

Verehrte Journalisten, Medienschaffende und Vertreter der Presse in Deutschland,

Zunächst möchte ich Ihnen für die im letzten Jahr geleistete Arbeit danken. Mit Ihrer Tätigkeit sensibilisieren Sie die Menschen in Deutschland für Palästina und tragen zur öffentlichen Meinungsbildung bei. Ihre Wortmeldungen und Beiträge zeigen uns immer wieder die Verbundenheit mit Palästina und dafür danke ich Ihnen sehr. 

Mit Blick auf die jüngsten Berichte und TV-Sendungen möchte ich mit diesen Zeilen einige Themen ansprechen. Das Hervorheben von ein oder zwei Themen soll sicherstellen, dass diese stärker Beachtung finden. Weder soll jemand irregeführt werden noch sich schlecht oder falsch informiert fühlen. Damit kann die Professionalität und Integrität in der deutschen Medienberichterstattung, wie vom Pressekodex vorgesehen, aufrechterhalten werden.

  1. Wenn es um das Thema Palästina-Israel geht, gibt es natürlich Elemente, die unter den Beteiligten umstritten sind. Wir haben dafür Verständnis. Es gibt jedoch auch anerkannte Fakten, von denen ich einige Wichtige beispielhaft nenne: Die Stadt Bethlehem ist in Palästina (Sie entscheiden ob „Palästina“ oder „in den besetzten palästinensischen Gebieten“.) Die Stadt Hebron befindet sich in Palästina. Ost-Jerusalem befindet sich ebenfalls in Palästina. Die Besatzung ist Realität. Die Siedlungen sind illegal.

Das sind Fragen des Völkerrechts, die mit Ausnahme des Staates Israel von allen Ländern der Welt akzeptiert werden. Und als solche sollten sie eindeutig als Tatsachen dargestellt werden. Die Aussage, dass die israelische Regierung diese Fakten bestreitet, ist nicht falsch. Wenn man jedoch impliziert, dass es zwei gleichgewichtige Meinungen zu diesen Fragen gibt, dann ist das irreführend.

  1. In unserer Situation ist der Kontext von großer Bedeutung. Besonders spiegelt sich dies im deutlichen Ungleichgewicht der Machtverhältnisse beider Parteien wieder: auf der einen Seite Israels als Militärmacht und auf der anderen Seite Palästina, das weder souverän noch unabhängig ist und wenig bis gar keine Kontrolle über sein Hoheitsgebiet und seine Bevölkerung hat. Diese Realität ist eine Tatsache.

Wird der Kontext ignoriert, ist es kaum möglich, logische Schlussfolgerungen zu ziehen. Erst mit dem Verständnis vom Kontext können wir überhaupt eine faire und gerechte Lösung für Palästinenser und Israelis erreichen.

  1. Beim Umgang mit Tötungen gilt die Unschuldsvermutung auch für die Presse (Ziff. 12 Pressekodex). In den letzten Monaten gab es viele Palästinenser, die nach angeblichen Angriffen auf Israels erschossen wurden. In einigen Fällen haben Ermittlungen bis heute keinen eindeutigen Beweis ergeben, abgesehen vom Hörensagen. Auch die Tatumstände sind umstritten. In solchen Fällen ist es unerlässlich, dass ein vermeintlicher Angreifer als solcher durch geeignete Wortwahl, wie „mutmaßlich“ oder „vermeintlich“ zu bezeichnen ist. Alle Fälle, in denen ein angeblicher Angreifer anstatt ihn zu Ermittlungs- und Aufklärungszwecken festzunehmen, getötet wurde, sind als „außergerichtliche Tötungen“ auch korrekt zu benennen.
  2. Obwohl die meisten Medien beide, palästinensische und israelische Quellen, berücksichtigen, sind die ausgewählten Quellen nicht immer gleichwertig. Häufig wird dem Zitat eines israelischen Regierungsbeamten die Äußerung eines Vertreters einer politischen Partei gegenübergestellt. Das schafft eine falsche Äquivalenz und unverdientermaßen ein höhere Bedeutung mancher Stimmen und Perspektiven.
  3. Mit dem Ziel der objektiven Berichterstattung und frei von persönlichen Interessen und sachfremden Beweggründen ist ein wesentlicher Aspekt des Journalismus berührt (Präambel Pressekodex). Doch in einigen Fällen, so scheint es, wird Objektivität mit Neutralität verwechselt. Eine sorgfältige Untersuchung der Fakten und Tatsachen kann zeigen, dass die Wahrheit auf der einen Seite der Argumentation oder auf der anderen liegt. Im Gegensatz dazu kann die neutrale Haltung, die Mitte zweiter Argumentationen, unabhängig von den Fakten schädlich sein. Denn sie schafft eine falsche Balance und gibt ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit wieder. Wir sind der festen Überzeugung, dass objektiv dargestellte Tatsachen für sich selbst sprechen. Um nicht mehr, aber auch nichts, weniger regen wir an…

Der komplette offene Brief (zzg. Übersetzung) unter

http://palaestina.org/index.php?id=160&tx_ttnews%5Btt_news%5D=528&cHash=4a70adf17ca275cca2dbca8135370450