Betr.: Süddeutsche Zeitung vom 15.10.: „Verschmähte Braut sucht neue Rolle“ von Daniel Brössler
Beitrag von
Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait, Juristin und Diplomatin a.D., 19.10.2013
Dass jetzt die SPD kein gesteigertes Interesse am Außenministerium zeigt, bezeichnet ihre fehlende Konzeption einer richtigen Außenpolitik für Deutschland und Europa. Dahinter steht die historisch kompromittierte Haltung einer gelähmten SPD gegenüber der US-Herrschaft:
„Auch wenn sich die außenpolitischen Ziele Westdeutschlands mit denen der USA in den Grundzügen deckten, gab es eine deutliche Dominanz der Hegemonialmacht. (Willy) Brandt war sich dieser Abhängigkeit von Washington aus zwei Gründen bewusst: Zum einen bestätigte der ehemalige CIA-Abteilungsleiter Thomas W. Braden (Im Film von Joachim Schröder »Germany made in USA – Wie US-Agenten Nachkriegsdeutschland steuerten«, 1.10.2009 bei Phoenix), dass Brandt Geld von der CIA erhielt. Der US-Geheimdienst zahlte antikommunistischen Politikern aller Parteien Beträge, um politische Entscheidungen zu beeinflussen. Zum anderen teilte Brandt seinem engsten Vertrauten Egon Bahr mit, dass er 1969 als Bundeskanzler den westlichen Siegermächten einen Unterwerfungsbrief unterschreiben musste (Egon Bahr in Zeit-Online am 14.5.2009: »Drei Briefe und ein Staatsgeheimnis«), worin er, wie bereits alle Bundeskanzler vor ihm, die Aushebelung bestimmter Artikel des Grundgesetzes akzeptierte. Es ging um den Zugriff auf sämtliche Kommunikation in der BRD durch die USA, wie wir heute wissen“ (jW-Thema vom 3.9.2013 und „Stilles Agieren“ von Carsten Söder, Junge Welt, 11.9.13)
Daher die Paralyse der SPD-Führung, daher ihre Ablehnung, eine gemeinsame völkerrechtliche Außenpolitik auf der Basis des Grundgesetzes und der UN-Charta zusammen mit der Partei DIE LINKE zu gestatten.
„Die Kontroversen um die deutsche Libyen-Enthaltung im UN-Sicherheitsrat (März 2011) ließen das Auswärtige Amt einfach nicht gut aussehen“, stellt Daniel Brössler fest („Verschmähte Braut sucht neue Rolle“, SZ, 15.10.). Allerdings erkennt er nicht den gravierenden Mangel in der Außenpolitik Berlins, die eine völkerrechtlich solide Begründung der Position Deutschlands völlig vernachlässigte. Würde das Auswärtige Amt seine Haltung mit dem Völkerrecht begründet haben, hätte es sich vielmehr für eine Ablehnung zum Krieg zusammen mit Russland und China entschieden. Aber dazu braucht man Überzeugung, also überzeugt zu sein, um überzeugend und zuverlässig zu wirken. Gerade das fehlte im Auswärtigen Amt. Daher seine Schwäche in der Sache Libyen und daher die katastrophale Außenpolitik danach, die nur Krisen, Gewalt und Krieg mit zu verantworten hat.
Daniel Brössler erwähnt die „Botschaftskonferenz im August 2011“, wobei sich diese „deutsche Schwäche“ auf diplomatischer Ebene manifestierte. Daraus folgte der unwürdige Applaus des französischen Gast Alain Juppé als eine Schande für Europa, denn Frankreich war im Nahen Osten nach seinem abstoßenden Angriff auf Libyen völlig aus der Bahn geworfen. Die Entgleisung des deutschen Außenministeriums außerhalb internationaler Regeln ging also weiter und wurde noch schlimmer. Sie führt seitdem die Außenpolitik Deutschlands tiefer in einen Sumpf als je zuvor. Ohne diesen Sumpf wahrzunehmen, wiederholt Daniel Brössler dieselbe Frage von Joachim Gauck und genauso wie er lässt er sie unbeantwortet, inhaltslos: „Schließlich sei auch die „Erwartungshaltung an Deutschland in der Welt gewachsen“. So der Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Rede am 3.10.13: „Entspricht unser Engagement der Bedeutung unseres Landes?“. („Verschmähte Braut sucht neue Rolle“ von Daniel Brössler, SZ, 15.10.)
Aber warum setzen deutsche Redaktionen den militanten und bekannten westlichen Aggressoren USA, Frankreich und Großbritannien keinen Widerstand entgegen? Warum ziehen sie Deutschland in diese verderblichen Kreise hinein und machen sich noch einmal schuldig für Aggression und Mord?
„Als Kriegsherr ist Obama wenig überzeugend. Herr über seine eigene Politik ist er nie gewesen. Der eloquente Präsident ist nur noch die Sprechpuppe der Machtelite eines Imperiums im Niedergang.“ (Leitartikel „Der Lügenpräsident“ von Werner Pirker, Junge Welt, 6.9.)
Im Aufsatz von John Pilger „From Hiroshima to Syria, the Enemy Whose Name We Dare Not Speak – The Biggest Lie” (11.9.) ist diesbezüglich weiter zu lesen:
“An act of premeditated mass murder on an epic scale had launched a new era of terror…The intrinsic criminality of the atomic bombing is borne out in the US National Archives and by the subsequent decades of militarism camouflaged as democracy. The Syrian psychodrama exemplifies this. Humanity’s most dangerous enemy resides across the Atlantic…The US intends to crush the last independent states in the Middle East: Syria first, then Iran. “This operation [in Syria],” said the former French foreign minister Roland Dumas in June, “goes way back. It was prepared, pre-conceived and planned.” (auch berichtet im ARD-Fernsehen „Beckmann“ am 30.8.) … “The repetitive debate about whether “we” should “take action” against selected dictators is part of our brainwashing. Richard Falk, emeritus professor of international law, UN Special Rapporteur on Palestine and journalist at London’s „Independent“, describes it as “a … campaign of unrestricted political violence. It is the biggest lie: in Anglo-American politics, scholarship and the media who ordain themselves as the world’s crisis managers, rather than the cause of a crisis. …
Under the “weak” Obama, militarism has risen perhaps as never before. .. a military coup has taken place in Washington. .. Obama accepted the entire Pentagon of his predecessor, George Bush: its wars and war crimes. As the constitution is replaced by an emerging police state. … The historian Norman Pollack calls this “liberal fascism. …”
Aus Russland kommt weitere präzise Kritik: US-Präsident Barack Obama hat sich mit seiner Aussage, die USA nähmen eine außergewöhnliche Rolle in der Welt ein, keine Freunde gemacht, schreibt die „Rossijskaja Gaseta“ am 10.10. Weiter heißt es dort: „Obamas Äußerung bestätigte erneut, dass die USA sich über jeden und alles stellen und die Welt als politische und wirtschaftliche Ressource für sich in Anspruch nehmen… Aggression ist wohl eine logische Reaktion darauf. Doch wo Aggression ist, sind Kriege nicht fern. Solche Äußerungen zerstören eine fragile Welt und gehören zur Kriegsrhetorik. Deswegen sind diese Phrasen inoffiziell verboten. … Der Zweite Weltkrieg entflammte zu einem Zeitpunkt, als Hitler von der außergewöhnlichen Rolle Deutschlands, der Aggression und Demütigung anderer Völker zu sprechen begann. Das war einer der Gründe für Hitlers Niederlage, obwohl er über die modernste Armee und Ressourcen verfügte. Nicht nur Nazi-Deutschland symbolisierte die Sackgasse der nationalistischen Politik. Österreich-Ungarn zerfiel, als der deutsche Teil von seiner außergewöhnlichen Rolle zu sprechen begann. Das Byzantinische Reich zerfiel, als die Griechen sich zu einem auserwählten Volk erklärten.“
Die USA seien als Hegemonialmacht akzeptiert worden, solange sie von gemeinsamen Werten und Interessen sprachen. „Jetzt sieht die ganze Welt die doppelten Standards der USA. Washington spricht von Demokratie, hat jedoch eines der undemokratischsten und intransparentesten Wahlsysteme in der Welt. Die USA sprechen von Freiheit, haben jedoch Gefängnisse, die grausamer als der Gulag sind… Die Weltordnung gerät aus ihren Fugen. … Die USA haben ihre Führungsrolle als moralische Instanz verloren. Obamas Äußerung ist ein weiterer Beweis dafür. Die USA sollten sich mit ihren eigenen Problemen beschäftigen, sich bescheiden verhalten und die Frage stellen, was sie jahrzehntelang falsch gemacht haben. Sie sollten ihre eigenen Fehler eingestehen, statt sich mit ihrer vermeintlichen Dominanz zu brüsten.“
Und Berlin sollte endlich zur Besonnenheit, zur Vernunft und zum Sinn für das Völkerrecht gelangen. Das haben nicht nur die verantwortlichen Damen und Herren in der Bundesregierung, sondern auch die Oppositionsparteien SPD/Grüne bitter nötig. Die gescheiterte Abstimmung im britischen Parlament über einen Syrien-Einsatz und der Widerstand im US-Kongress erfordern auch vom deutschen Bundestag, sich verantwortlich zu zeigen. In diesem Zusammenhang klingt die Rede vom Bundespräsident Joachim Gauck zum deutschen Nationalfeiertag am 3.10. alarmierend und sehr enttäuschend. Mit keiner Silbe bezieht er sich in ihr auf rechtsstaatliche Grundsätze bei der Verantwortung Deutschlands. Auch kein historisches Einsehen ist bei ihm wahrzunehmen, nachdem Deutschland zwei Weltkriege „erfolgreich begann“ und sich an Kriegen weiter beteiligte. Weder die UN-Charta noch das Grundgesetz finden bei dem Bundespräsidenten Beachtung.
Die zentrale außenpolitische Frage, der sich eine neue Bundesregierung stellen muss, sollte allerdings mit Verantwortung gemäß dem Völkerrecht angegangen und richtig beantwortet werden. Das wird nur funktionieren, wenn Berlin seine dogmatische Gefolgschaft einer ruinösen Supermacht beendet. Dieser Knechtschaft ist der Imperativ der Vernunft entgegen zu stellen. Ebenso sollten deutsche Eliten und Medien aufhören, die Verantwortung Deutschlands für den Ersten und den Zweiten Weltkrieg weiter vertuschen zu wollen. Deutschland muss sich der geschichtlichen Realität gründlich und wahrhaftig stellen, sollte es die Zukunft richtig einschätzen und vorbereitet sein, sie politisch verantwortungsvoll anzupacken. Denn darum geht es, um politische Verantwortung. Bedauerlicherweise hat der Bundespräsident das nicht verstanden und deshalb nicht richtig in seiner überflüssigen Rede angesprochen.
Lediglich DIE LINKE bekennt sich zum Völkerrecht und Grundgesetz. Der Austritt Deutschlands aus der NATO ist der erste notwendige Schritt zu ihrer Auflösung. Das hat DIE LINKE erkannt und plädiert dafür. Und die anderen Parteien? Die Medien dürfen diesen Gegensatz nicht vertuschen. Die Zeit ist reif für eine zweite Aufklärung. Im 18. Jahrhundert ging es um die Aufklärung über den obsoleten Absolutismus des Ancien Regimes. Heute geht es um die Aufklärung über den gefährlichen, obsoleten Absolutismus einer zügellosen Supermacht, die nicht nur einen Kontinent, sondern die ganze Welt kontrolliert, und zwar wirtschaftlich und militärisch. Diese Supermacht erhebt sich über Recht und Gesetz, missachtet routinemäßig sogar Gesetz und Verfassung ihres eigenen Landes, was sich als Staatsterrorismus gegen eigene Staatsangehörige und gegen Menschen im Ausland zeigt. Nach so vielen Eskapaden im Ausland stehen die Vereinigten Staaten von Amerika am Rande des wirtschaftlichen Zusammenbruchs. Der bankrotte Zustand der USA macht sie noch gefährlicher, vor allem für eine EU-Eskorte, die sich in ihrer Knechtschaft gegenüber den USA angepasst und sich völlig von ihnen abhängig gemacht hat. So bleibt bis auf weiteres alles beim Alten in Deutschland wie bei Kaiser Wilhelm: Eitelkeit, Idiotie, Inkompetenz und Verlogenheit auf höchster Ebene. Auch angesichts dieses verderblichen Zustandes ist eine zweite Epoche der Aufklärung nötig, um die Korrekturen und politischen Innovationen in Gang zu setzen, bevor es zu spät ist.
Als Hoffnung und als Ankerpunkt für Deutschland gibt es DIE LINKE mit einer klaren Position zum Frieden und einer zivilisierten Außenpolitik, die sich an die internationalen Regeln hält. Die Medien dürfen diese gerechte würdige Alternative nicht weiter blockieren oder totschweigen. Die nötige zweite Epoche der Aufklärung ist eine große Aufgabe für die Medien, eine Herausforderung an die gesamte deutsche Gesellschaft. Das verlangen die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft.
Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait