Betr.: Leitartikel in Süddeutsche Zeitung vom 14.2.: „Nahost – Arabiens Suche“ von Tomas Avenarius
Von
Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait, Juristin und Diplomatin a.D., 16./17.02.2014
Tomas Avenarius erkennt realistisch die aktuelle Entfernung, ja Entfremdung der arabischen Welt vom Westen, genauer von der USA/EU. Diese westlichen Länder haben in der Tat infolge ihrer menschenfeindlichen Außenpolitik jede Zuverlässigkeit, jede Glaubwürdigkeit verloren. Es geht nicht um Demokratie oder irgendeine Regierungsform, sondern um verlässliche Partner, die sich für eine humane vernünftige Außenpolitik friedlich und respektvoll untereinander verhalten, eine Außenpolitik, die auf zivilisatorischen Normen zu beruhen hat. Da sind Russland, China, Südafrika, viele andere BRICS- und blockfreie Staaten viel zuverlässiger als eine Interventions-Supermacht, die in den letzten Jahrzehnten nur Destruktion, unermessliches Leid und Vernichtung gesät hat. Nicht einmal hat sie die humane faire Bereitschaft gezeigt, sich für die Folgen ihrer Untaten zu verantworten. Hat jemals die USA/EU Schadensersatz an den Irak, Jugoslawien, Libyen und Syrien für die unmenschliche Zerstörung und das Leid bezahlt?
Keine Demokratie ist zu erzwingen. Deutschland ist ein klarer Fall von gelenkter Demokratie von außen seit 1949. Was kennzeichnet eine funktionierende Demokratie eigentlich? Hat Tomas Avenarius darüber nachgedacht? (sein SZ-Leitartikel „Nahost – Arabiens Suche“, SZ, 14.2.). Demokratie ist lediglich ein vorgegebener Rahmen, ein Rahmen von Institutionen, ein Rahmen der Rechtsstaatlichkeit, der die freie Volksentscheidung garantiert. Wie sich das Volk entscheidet, ist nicht wesentlich in einer Demokratie, die lediglich das Selbstbestimmungsrecht des Volkes respektieren soll. Mit anderen Worten, den Inhalt einer Demokratie entscheidet das jeweilige Volk. Dieser Inhalt kann von Land zu Land unterschiedlich sein. Das Problem im Westen, bei der USA und EU, ist Demokratie mit Marktkonformismus zu verwechseln. Deshalb stellen sie sich feindlich gegen jeden Staatsmann, der sich nicht ihrem neoliberalen System beugt. Das war der Fall vom Irak, von Jugoslawien, Libyen und jetzt gegenüber Ägypten, das manifestiert, einen anderen Weg als die USA/EU gehen zu wollen. Der syrische Präsident Assad ist sich auch vollkommen im Klaren, dass Syrien nicht in die Fänge des Westens fallen darf, der eine US-Marionetten-Regierung dort etablieren will.
Weitere Tatsachen sollte Tomas Avenarius in Erwägung ziehen, um die deutsche Demokratie sachlich und gründlich zu bedenken: Die klassische Gewaltenteilung, Legislative, Jurisdiktion und Exekutive, ist in jeder demokratischen Verfassung verankert, um Macht zu begrenzen und die demokratische Kontrolle untereinander zu gewährleisten. Auch im Grundgesetz. Nun funktioniert die Gewaltenteilung bei der deutschen Demokratie mit ihrer demokratischen Kontrolle? Gewählte Parteien bilden nicht nur die Legislative (Bundestag und Bundesrat) sondern auch die Exekutive und Gerichte. Sogar die Verfassungsrichter gehören den Parteien an. Richter werden nicht vom Volk gewählt, sind aber in der Regel Parteimitglieder. Können sie also eine unabhängige judikative Funktion ausüben? Die Fälle von Duisburgs Love-Parade und dem Kundus-Massaker haben die Unterwerfung bis zur kompletten Nichtigkeit der Staatsanwaltschaft unter das Bundeskanzleramt erbärmlich gezeigt. Die Medien haben sich diesem prekären Zustand der deutschen Demokratie angepasst. Als Diener der Mächtigen und Großkonzerne sind sie ebenso abhängig und erfüllen nicht ihre kritische Funktion als vierte Staatsgewalt. Das verzerrt die Berichterstattung vor allem hinsichtlich der Außenpolitik, die von der NATO-USA bestimmt ist. Im nominell demokratischen deutschen Rechtsstaat hat die Regierung unter der CDU/CSU/FDP-Koalition gemeinsame Sache mit Terroristen gemacht, um Krieg gegen Syrien zu führen. Sponsoren der Gewalt waren sogar unter dem unsäglichen Außenminister Westerwelle in Berlin eingeladen. Verdient eine solche gesetzlose Herrschaft den Namen demokratischer Rechtsstaat? Ist Deutschland mit diesem Handicap berechtigt, sich als Meister der Demokratie über andere Länder zu erheben? Grotesker ist es kaum vorzustellen. Nicht einmal ihr eigenes Selbstbestimmungsrecht haben die Deutschen ausüben dürfen, weil sich die Regierung Kohl/Genscher dem US-Diktat 1989/1990 unterwarf. Sie ließ sich davon abhalten, dass das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes frei ausgeübt wurde, ganz ohne Fremdbestimmung. Die Idiotie einer deutschen Politik darf sich keineswegs auf andere Länder als Muster übertragen.
Selbst das sogenannte Europa-Parlament ist keine Legislative, kein vollwertiges Parlament, noch ist die EU-Kommission eine Regierung im herkömmlichen Sinn. Die Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank bestimmt die Wirtschaftspolitik mit allen unsozialen Folgen, obwohl niemand eine dieser drei gewählt hat.
Auf eine solche undemokratische Politik haben sich in Europa die Konservativen, die Sozialdemokraten und die Liberalen geeinigt und diese in Verträge festgehalten. Die EU ist ein neoliberales Projekt. Die genannte Troika hat Deregulierung, Liberalisierung im Handel sowie Privatisierung durchgesetzt. Diese EU-Konstruktion muss von Grund auf geändert werden. Schon der Name „Europäische Union“ muss verschwinden: Diese Bezeichnung ist heute im Verständnis vieler Menschen zu stark belastet. Obwohl medial verschwiegen, gibt es Alternativen zum jetzigen miserablen Zustand. Politisch bewusste Menschen werden weder Konservative, noch Sozialdemokraten noch Liberale wählen. Dass die größte Partei in Europa die der Nicht-Wähler ist, zeigt den Verfall der politischen, nominell demokratischen Verhältnisse in Europa.
Auch die angebliche Pressefreiheit hat mit der Realität nichts zu tun. Die Berichterstattung ist häufig sehr verzerrt, ganz im Sinne der fremden Körperschaften (EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank) in Europa. Politische Alternativen werden bewusst verschwiegen. Die Bevölkerung begreift allmählich, dass sie durch die großen Medien belogen, manipuliert und betrogen wird. Deshalb sucht die Bevölkerung, vor allem die junge Generation, Information im Internet. Daher die Piraten-Partei. Unter diesen Bedingungen erfährt der Kontakt über die sozialen Netzwerke im Internet eine wachsende Bedeutung.
Dass der Nahe Osten sich neu orientiert, ist zu begrüßen. Es hat lange gedauert, aber endlich sehen die Araber, dass die kolonialen Grenzen nicht zu gelten haben. Die konstruierten Dispute, die Kolonialherren willkürlich einfädeln, sind niederträchtige Manöver, damit die islamischen Staaten getrennt und schwach bleiben. Die Arabische Liga hat aufgrund von fremdem Druck und Einfluss ihren Zusammenhalt verloren. Sie muss sich ohne Ausschluss eines arabischen Landes wiederfinden zusammen mit allen ihren islamischen Mitgliedern.
Der ägyptische Feldmarschall Al-Sisi genießt enormen Rückhalt in der Bevölkerung, eigentlich bei der größeren Hälfte der ägyptischen Bevölkerung. Also sollte sich niemand wundern, dass er der nächste gewählte Präsident sein wird. Die Armee Ägyptens ist eine Institution, die seit Nasser den Respekt und Anerkennung aller Ägypter genießt.
Der Außenminister Ägyptens, Nabil Fahmi, äußert sich über die Richtung und Selbstständigkeit seines Landes eindeutig: <Wer Gewalt anwendet, wird aus dem politischen Prozess ausgeschlossen. Friedliche Islamisten werden Teil Ägyptens sein. Ägyptens Gesicht wird in Zukunft anders aussehen…. Das Entweder-Oder gilt nicht mehr…
… Natürlich suche ich weitere Freunde…. Unsere Gesellschaft sucht sich selbst…. Haben wir unsere Freunde im Westen überrascht? Sicher. .. Ägypten will sich nicht belehren lassen… Im Westen glaubt man, alles besser zu wissen. Das ist ein Riesenfehler…. Da sprengt einer eine Kirche in die Luft… und dann heißt es im Westen…. die Polizei soll sich bitteschön zügeln. Wer gibt dem Westen das Recht dazu?…
… Der Staat wird auf den Terror mit aller Härte reagieren, im Rahmen der Gesetze. Wenn eine Gruppe Gewalt predigt, soll man dann freundlich sein?
… Eine starke Außenpolitik verlangt stabile innere Verhältnisse. … Überall hieß es: Wir wollen, dass Ägypten wieder eine prominente Rolle in der Region spielt, es war immer eine moderate und stabilisierende Kraft. Ich setzte auf Ägyptens Kraft, unabhängige Entscheidungen zu treffen. Das bedeutet… Auswahl. Wir erstrecken uns über zwei Erdteile, berühren zwei Meere, zwei Wasserstraßen… Wir bleiben Teil der internationalen Gemeinschaft. Wann wird unser Land seine alte Rolle wieder einnehmen? Ich würde die Ägypter nicht unterschätzen… Warum nicht Panzer und Flugzeuge in Russland kaufen?.. Wir haben nie aufgehört, mit Moskau zu sprechen, trotz unserer Beziehungen zu Amerika. Warum nicht mit den Russen reden, den Chinesen, den Deutschen? Es geht nicht darum, die Amerikaner zu ärgern: Wir sind dazu gezwungen. … Außenpolitisch ist Sisi ein Nationalist. Jeder Präsident muss eine aktive, multilaterale, internationale Außenpolitik betreiben, die von unseren Beziehungen zur arabischen Welt und Afrika ausgeht.
Die Konrad-Adenauer-Stiftung ist in Ägypten noch immer verboten. Diesen Fall müssen die Gerichte lösen. Die Regierung kann keine Entscheidung treffen.> (Interview von Tomas Avenarius und Sonja Zekri mit dem Außenminister Ägyptens, Nabil Fahmi – SZ, 4.2.14)
Die gravierenden Krisen, die den Nahen Osten plagen, sind belastende Ergebnisse einer fehlgeschlagenen Politik des Westens, USA und EU, die den Kategorien von Gewalt und Abschreckung bis ins 21.Jahrhundert verhaftet geblieben sind. Jedoch ist darauf aufmerksam zu machen, daß die verheerende unerwünschte NATO-Aggression gegen Libyen nicht von den USA, sondern von einem neokolonialen unverbesserlichen Frankreich gegen den Willen der USA und gegen den Willen der europäischen Mehrheit im März 2011 ausgelöst wurde. Deutschland hätte sich gegen diese verhängnisvollen Aggression entschieden stellen müssen. Die US-Außenministerin Hillary Clinton erkannte diese irrende US/EU Außenpolitik kurz bevor sie das State Department verließ. Ihr Nachfolger US-Außenminister John Kerry hat es bisher nicht geschafft, den vernichtenden bedrohlichen US-Kurs zu korrigieren. Noch im vergangenen Sommer war Paris in seinem Eifer zum offenen Krieg des Westens gegen Syrien kaum zu bremsen. Arnold Schölzel macht uns darauf aufmerksam in seinem Leitartikel „Afrika, Syrien und weitere Feldzüge – Kriegswalze“ (Junge Welt,3.2.): „Der Rückzieher Washingtons in letzter Sekunde wurde an der Seine als Feigheit und Verrat bewertet. Hauptschuldiger für die Verhinderung des Feldzugs war der russische Präsident Wladimir Putin, der seitdem mit einer beispiellosen russophobischen Propagandakampagne abgestraft wird.“ Trotzdem wurde Wladimir Putin als Internationale Person des Jahres (2013) von der Londoner Times gewürdigt.
In ihrer zynischen eiskalten Überheblichkeit spielen die USA seit Jahrzehnten, ja seit 1945, mit dem Feuer. Freundschaft existiert nicht. Europa hat Erfahrung mit dieser allein auf eigenen Vorteil bedachten kaltschnäuzigen Skrupellosigkeit der USA entlang der vergeudeten Zeit des Kalten Krieges, als die Auslöschung von ganz Mitteleuropa ohne irgendein Wimpernzucken von Amerika in Kauf genommen wurde. Deutsche Medien, die in ihrer westdeutsch-kleinkarierten naiven Vorstellung der Nachkriegszeit von einer Welt, die in „Gut“ und „Böse“ eingeteilt wurde, beharren, sind nicht imstande, das verheerende Verhalten der US-Herrschaft wahrzunehmen, weil die Amerikaner erst „die Guten“ gegen die bösen Nazis und dann gegen die „bösen Sowjets“ waren. So infantil unterentwickelt bleiben bis heute noch deutsche Eliten und Journalisten, total verblendet vor der größten gegenwärtigen Weltgefahr. Sogar der britische Premier Minister Winston Churchill war sich in seinen letzten Jahren dieser großen Gefahr der totalen Auslöschung Zentraleuropas bewusst und versuchte vergeblich den mörderischen sinnlosen vergeudeten Kalten Krieg zu beenden. Die alte westdeutsche Bundesrepublik stellte ihr Territorium zur Verfügung, damit ihre Verbündeten hier ihre eigene „Sicherheit“ verteidigen konnten. Schon allein das war grob fahrlässig, verrückt, mitten in der Konfrontation des Kalten Krieges. Diese enorme Last auf der alten westdeutschen Bundesrepublik und auch auf dem neuen vereinten Deutschland wird von den USA nicht anerkannt, auch nicht von deutschen Politiker und Journalisten. Ist es Freundschaft, den Freund so kaltblütig der Vernichtung auszusetzen? Wer kann so ein dummer Träumer sein, so realitätsfern, zu meinen, solche US-Regierungen seien Freunde Deutschlands? Nein, das zu behaupten beruht eher auf Korruption oder Erpressung. Hier gilt es, genauer bei deutschen Politikern und ihren Beratern hinzuschauen.
Die von der NATO-USA-gelenkten deutschen Eliten und Medien haben deshalb Schwierigkeiten, die russische internationale Politik zu verstehen und klar darzustellen. Oder sie haben den Auftrag oder das Kommando der USA, Russlands Richtlinien zu verschweigen und zu vertuschen Russland schützt das internationale Recht, was der US-Außenpolitik tatsächlich widerspricht. „Recht und Ordnung zu verteidigen, das ist eine der wenigen Möglichkeiten zu verhindern, dass die internationalen Beziehungen ins Chaos abgleiten.“ („Russlands Plädoyer für Vorsicht. Was Putin den Amerikanern über Syrien zu sagen hat“, New York Times vom 11.9.13 – Übersetzung: Stefan Huth, „Abgeschrieben“ , Junge Welt,13.9.2013)
Die Worte von Russlands Präsidenten Wladimir Putin sind vollkommen wahrhaftig und nachvollziehbar. „Meinungsumfragen belegen, dass er damit die Mehrheit der US-Bürger anspricht. <Wenn mehr Amerikaner in einer wichtigen außen- und sicherheitspolitischen Frage auf Putin als auf Obama vertrauen, kommt das einem Epochenbruch gleich>, kommentierte das die Welt am Sonntag.“ (Aus dem Artikel „Umweg zum Krieg“ von Arno Neuber, UZ, 20.9.)
Daß diese Einsicht und Erkenntnis beim deutschen Bundeskanzleramt und in Brüssel völlig fehlen, verschlimmert die prekäre Lage Deutschlands und Europas vor der ganzen Welt. Hier muß Tomas Avenarius die beklemmende deutsche Außenpolitik aufrütteln. Die amerikanische Demokratie wurde vor 200 Jahren auf der amerikanischen Verfassung begründet, aber sie funktioniert heute nicht mehr, weil sie sich in Willkür verwandelt hat, sowohl im Inneren als auch im Ausland. Diktatur zu Krieg und Gewalt ist nicht mit demokratischer Rechtsstaatlichkeit zu verwechseln.
Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait