Und Frieden auf Erden…aber nicht im „Heiligen Land“

Nahostpolitik

Von Arn Strohmeyer, 21.12.2016

Die Weihnachtslegende von Jesu Geburt ist untrennbar mit der Idee des Friedens und dem sogenannten „Heiligen Land“ verbunden. Das Paradoxe ist nur, dass Palästina seit jeher einer der am meisten umkämpften Landstriche der Welt ist. Und seit der Ankunft der ersten Zionisten um 1880 und der kolonialen Besiedlung durch sie ist der Frieden dort vollends unmöglich geworden. Der Unfrieden in Israel/Palästina liegt sozusagen in der Sache selbst: Der Zionismus ist eine siedlerkolonialistische Bewegung, und das heißt: Die indigene Bevölkerung (die Palästinenser) wurde und wird noch immer durch eine ethnische Säuberung vertrieben oder eliminiert beziehungsweise in kleine Enklaven verdrängt, damit die neuen Herren das Land in Besitz nehmen können. Zu diesem Prozess gehört auch die Dämonisierung und Dehumanisierung der Ureinwohner, um so zu beweisen, dass diese Menschen nicht dieselben Rechte verdienen wie die Siedler.

Das ist die Gesetzmäßigkeit des Siedlerkolonialismus, den die Weißen schon in Amerika, Australien und Südafrika mit Erfolg praktiziert haben. Obwohl das Zeitalter des Kolonialismus längst Geschichte ist, führt Israel diesen Anachronismus in furchtbarer Weise weiter durch – mit Rückendeckung der USA und Europas. Dass Israel auf diese Weise seine moralische Existenz und Legitimation verfehlen muss, weil dieser Staat auf der Unterdrückung eines anderen Volkes gründet, wird in Kauf genommen, was aber auch bedeutet, dass der Frieden keine Chance hat und Israel/Palästina einer der gefährlichsten politischen Brennpunkte bleibt, der jederzeit die Welt in den Abgrund reißen kann.

Auf die Frage, warum der Frieden unmöglich ist, gibt es nur eine Antwort: Die Zionisten erheben den Exklusivanspruch auf das Land. Dieser Ideologie zufolge gibt es keinen Raum für die Anerkennung legitimer Ansprüche eines anderen Volkes auf das Land – ja, dem anderen Volk wird sogar die nationale Existenz abgesprochen. Der Israeli Jeff Halper formuliert es so: „Die Vorstellung, dass es den Palästinensern gestattet werden sollte, auf dem gesamten besetzten Gebiet – gerade einmal 22 Prozent des Landes – einen Staat zu gründen, wurde nie ernsthaft von einem irgendeinem israelischen Politiker, von irgendeiner Partei erwogen.“

Hinter dieser Ablehnung eines territorialen Kompromisses mit den Palästinensern steckt aber mehr als nur eine starre Verweigerungshaltung. Der israelische Soziologe und Philosoph Moshe Zuckermann spricht von einer „psycho-kollektiven Angst der Israelis vor dem Frieden“. In Israel werde zwar ständig vom „Frieden“ gesprochen und eine „Friedenssehnsucht“ beschworen, gleichzeitig sei der Staat aber unfähig, den Frieden in der eigenen Gesellschaft politisch zu legitimieren und ihn auch umzusetzen. Er schreibt: „Bezogen auf die kollektiven Auffassungen sowie auf die tatsächliche Politik ist in Israel der Frieden in aller Munde geläufig, doch niemand hat ihn je wirklich auf die Probe gestellt, mithin die Bereitschaft gezeigt, ihn mit dem notwendigen Preis auch umzusetzen.“

Im Zusammenhang mit dem imaginierten Frieden huldigt Israel einem Sicherheitsmythos, der lautet: „Die Feinde ringsum [die Araber oder die Gojim] wollen uns vernichten“ – eine Sicht, die als Folge der jüdischen Leidens- und Verfolgungsgeschichte verstanden wird und die Unlösbarkeit der Feindschaft zwischen Juden und Arabern behauptet. Auf diese Weise wird die Sicherheitsfrage genauso wie die Friedensfrage aber ideologisiert und entpolitisiert und der sich daraus ergebende permanente Kriegszustand als „Selbstverteidigung“ gerechtfertigt, was wiederum die absolute und unbedingte militärische Überlegenheit – die unschlagbare Militärmacht –voraussetzt.

Die konkreten Streitpunkte des Konflikts mit den Palästinensern ( die Besatzung, die Frage der Grenzen, die Rückkehr der Flüchtlinge, die Gefangenen usw.) und realpolitische Lösungen werden also ausgeblendet und die Verantwortung für den Konflikt allein den Arabern zugeschoben. Genauso argumentierte z.B. der kürzlich verstorbene israelische Politiker Simon Peres, der in den westlichen Staaten völlig zu Unrecht als „Friedensbringer“ gerühmt wurde. Er führte den Konflikt völlig ahistorisch auf die Aversionen der Araber und der ganzen Welt gegen Israel zurück. Es besteht aber gar kein Zweifel, dass ein wirklicher Frieden so lange nicht möglich ist, wie Israel den Konflikt in dieser Weise entpolitisiert und dem Sicherheitsmythos und der Friedenideologie anhängt und nicht bereit ist, die eigene Vergangenheit (das an den Palästinensern begangene Unrecht) aufzuarbeiten.

An konkreten arabischen Friedensangeboten hat es nach dem Krieg von 1948 bis heute nicht gefehlt. Die Anerkennung Israels durch die Araber war damals möglich, wenn man in den Fragen der Rückkehr der Flüchtlinge und der territorialen Grenzen einen Kompromiss gefunden hätte. Koexistenz, vielleicht sogar der Frieden wäre also denkbar gewesen. Eine solche Lösung hätte aber auch das Ende des Zionismus bedeutet, denn Israel wäre dann ein ganz normaler Staat mit festgelegten Grenzen in der Levante geworden. Jeff Halper zählt in seinem Buch „Ein Israeli in Palästina. Israel vom Kolonialismus erlösen“ 21 arabische Friedensangebote ab 1949 auf, diese Liste sei aber noch keineswegs vollständig. Israel hat diese nationalen und internationalen Friedensangebote alle abgelehnt, ohne aber je einen eigenen Friedensplan vorzulegen. Israel entschied sich gegen die Koexistenz mit den Arabern und für eine Strategie der militärischen Gewalt und vergrößerte so sein Territorium auf Kosten der Araber 1948, 1956 und 1967.

Israel konnte mit seinen Kriegen immer gut leben, denn das von der Propaganda erzeugte Gefühl der Bedrohung schweißte die israelische Gesellschaft zusammen, und außerdem schwoll der Hilfs- und Kapitalfluss ins Land dann immer mächtig an. Die zionistische Expansionspolitik hat aber nicht mehr Sicherheit für den Staat, sondern erhöhte Unsicherheit gebracht. Der deutsche Soziologe Walter Hollstein hat schon 1972 festgestellt und daran hat sich bis heute nichts geändert: „Israels expansionistische Prinzipien machen die friedliche Koexistenz, die überhaupt erst die Grundbedingung für einen sicheren ‚Judenstaat‘ ist, zwischen Juden und Arabern unmöglich. Statt die Juden zu befreien, wie es sein hehres Ziel gewesen ist, führt der Zionismus die Israelis in immer schwieriger zu meisternde Engpässe.“ Und weil das so ist, und es nach wie vor ein palästinensisches Volk gibt, das seine nationalen Ansprüche auf dasselbe Territorium anmeldet, ist Israels Existenz nicht gesichert – muss der zionistische Staat im Widerspruch mit sich selbst leben und immer wieder seine Existenzberechtigung vor sich selbst und der Welt legitimieren.

Für den Israeli Jeff Halper ist der Zionismus deshalb schon gescheitert und an sein Ende gekommen. Denn er hat einen Staat geschaffen, der auf Unterdrückung und Gewalt beruht: „Der politische Zionismus“, schreibt er, „musste moralisch und systematisch scheitern, da er sich nicht mit dem anderen im Land lebenden Volk auszusöhnen verstand. Er ist nicht in der Lage, einen Weg aus dem Konflikt zu weisen.“

Aber Totgesagte leben oft länger und verschwinden deshalb noch lange nicht aus der Geschichte. Ihre Agonie kann noch sehr lange dauern und sehr viel Unfrieden stiften. Frieden im „Heiligen Land“, das zum „Un-Heiligen Land“ geworden ist, ist nichts als eine Utopie.