Zwischen „Lügen- “ und „Lückenpresse“

Nahostpolitik

Wie die TAZ einen Vortrag von Abi Melzer zum Thema „Israelkritik und Antisemitismus“ wiedergibt

Von Arn Strohmeyer, 24.01.2017

Der deutsch-jüdische Verleger und Publizist Abraham Melzer ist ein streitbarer Mann, der sich seit Jahrzehnten für eine gerechte Lösung des Nahost-Konflikts einsetzt. Dass er dabei vor allem Partei für die Palästinenser ergreift, versteht sich von selbst, denn sie sind die Besetzten und Unterdrückten. Eine solche Position bringt ihm natürlich viel Gegner-, ja Feindschaft ein. So bezeichnete ihn die Präsidentin der jüdischen Gemeinde in München, Charlotte Knobloch, jüngst als „berüchtigten Antisemiten“ und sorgte dafür, dass ihm von der Stadt München ein Raum für einen Vortrag verweigert wurde. Abi Melzer ging vor Gericht und verklagte Frau Knobloch wegen ihrer diffamierenden Behauptung. Er gewann den Prozess, er wird demnächst in die zweite Runde gehen. Abi Melzer weist nach dieser Erfahrung immer wieder darauf hin, wie bedroht die Meinungs- und Pressfreiheit in Deutschland ist. Das war der Grund, dass der emeritierte Bremer Jura-Professor Johannes Feest Melzer zu einem Vortrag in die Hansestadt eingeladen hat.

Die TAZ war einmal als alternative Tageszeitung angetreten, die sich von den eingefahrenen Gleisen der Mainstream-Presse abheben und den tabulosen Blick auf die gesellschaftliche und politische Wirklichkeit wagen wollte. Was von diesem Anspruch übrig geblieben ist, darüber lässt sich streiten. In der Bremer Lokalredaktion dieses Blattes (Ausgabe Nord) sitzt ein Team von Schreibern, das sich weniger um die Belange der Hansestadt kümmert, sondern lieber die große Politik in den Blick nimmt – speziell den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Da man kaum über Kenntnisse über diese Auseinandersetzung im Nahen Osten verfügt und zudem noch – wohl aus Angst vor dem Antisemitismus-Vorwurf – davor zurückschreckt, die Realitäten dieses Konfliktes wahrzunehmen und sie etwa an den Kriterien des Völkerrechts und der Menschenrecht zu messen, weichen die Bremer TAZ-Schreiber aus, positionieren sich als stramme Verteidiger der israelischen Politik und diffamieren die Kritiker dieses siedlerkolonialistischen Staates als „Antizionisten“ oder „Antisemiten“.

Zwischen Judentum, Zionismus und Israel  (und umgekehrt zwischen Antisemitismus, Antizionismus und Kritik an Israels Politik) unterscheiden können sie nicht ,oder sie trauen sich das nicht. Und da es in Bremen eine starke Fraktion von Kritikern der israelischen Politik gibt, bietet sich für die TAZ-Schreiber ein breites Betätigungsfeld. Die Bremer Ausgabe der TAZ ist inzwischen ein Kampfblatt der Verteidiger Israels – besonders auch der sogenannten „Antideutschen“ – geworden.

So verwundert es nicht, dass der TAZ-Bericht von Benno Schirrmeister über einen Vortrag des deutsch-jüdischen Verlegers und Publizisten Abi Melzer zum Thema „Israel-Kritik und Antisemitismus“ in Bremen zum Musterbeispiel für einseitige und infame Polemik gerät. War es früher noch eine absolut zu befolgende journalistische Regel, Nachricht und Kommentar fein säuberlich zu trennen, so gilt das für die Bremer TAZ-Schreiber offenbar nicht mehr. Das Ergebnis in diesem Fall – der Artikel von Benno Schirrmeister „Mäandern für Meinungsfreiheit. In einem erkenntnisarmen, aber langatmigen Vortrag erklärt Abraham Melzer, warum er Antisemitismus für Hysterie hält und sich selbst für ihr Opfer“ – ist ein Mischmasch von nachrichtlichen Fetzen von dem, was Melzer wirklich gesagt hat, und hämischen und falschen Anmerkungen. Das beginnt schon bei der Überschrift, denn Melzer hält grundsätzlich Antisemitismus natürlich nicht für Hysterie, sondern nur den Antisemitismus, der künstlich als Vorwurf erzeugt wird, um die Diskussion über Israels verbrecherische Politik gegenüber den Palästinensern abzuwürgen.

Auf Abi Melzers sehr ernst gemeintes und deutlich ausgesprochenes Anliegen, dass er durch das Vorgehen der Israel-Lobby die Presse-, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit in Deutschland bedroht sieht, wenn Kritikern der israelischen Politik Räume verweigert werden und sie straffrei als „Antisemiten“ diffamiert werden können, geht Schirrmeister nicht näher ein. Das ist für TAZ-Schreiber offensichtlich kein Problem, man steht ja auch auf der „richtigen“ Seite. Melzer spricht in seinem Vortrag dagegen von einer „Antisemitismus-Hysterie“. Dazu merkt Schirrmeister an: „Das scheint den Erwartungen nicht nur der fundamentalistischen Islamisten im Publikum entgegenzukommen.“ Eine äußerst perfide Behauptung, die ja suggeriert, als habe das Publikum bei Melzers Vortrag hauptsächlich aus Salafisten und IS-Anhängern bestanden. Offensichtlich sind für diesen Schreiber alle Kritiker der israelischen Politik „fundamentalistische Islamisten“, was ja einiges über das verwirrte Weltbild dieses Schreibers aussagt. In Wirklichkeit bestand die Zuhörerschaft Abi Melzers mehrheitlich aus besten gutbürgerlichen, wenn auch kritisch gesinnten Bremer Kreisen.

„Geschichtsklitterung“ nennt der TAZ-Schreiber die Äußerung Melzers, „die Araber hätten Jahrhunderte in Frieden mit Juden zusammen gelebt.“ Das ist schlicht ein Faktum, das auch bei jüdischen und israelischen Historikern nachzulesen ist. Im Mittelalter haben große jüdische Gelehrte wie Maimonides ihre Werke sogar in arabischer Sprache geschrieben. Der Antisemitismus ist ein Produkt Europas und ist erst als Reaktion auf die gewalttätige siedlerkolonialistische Politik der Zionisten in Palästina in den arabischen Raum gekommen. Man darf hier Ursache und Wirkung nicht verwechseln. Da ist es auch kein Gegenargument, dass islamistische Terroristen Juden in Paris ermordet haben, worauf ein Zwischenrufer hinwies. Abi Melzer ordnete diesen Terrorakt in den Zusammenhang des Nahost-Konflikts ein, der eben auch auf europäischen Boden ausgetragen wird.

Als Melzer das Problem ansprach, dass deutsche Banken Israel-kritischen Organisationen und Personen (auch jüdischen und Melzer selbst) neuerdings die Konten kündigen, und anmerkte, dass deutsche Medien über diese Ungeheuerlichkeit so gut wie nicht berichtet hätten, muss der TAZ-Schreiber sein Blatt verteidigen, denn darüber habe es berichtet – aber vermutlich nicht die Bremer Redaktion. Der Vorwurf bleibt aber bestehen und in diesem Zusammenhang benutzte Melzer das Wort „Lügenpresse“, das Schirrmeister dankbar aufgreift, kann er doch so eine assoziative Nähe zu Pegida uns der AfD herstellen, ohne das natürlich auch zu schreiben.

Aber Melzer hatte das Wort „Lügenpresse“ kritisch gemeint und sich auf den Medienwissenschaftler Ulrich Teusch berufen, der von „Lückenpresse“ spricht, also die gezielte Unterdrückung von Nachrichten im deutschen Journalismus meint. Diese feine Unterscheidung macht Schirrmeister natürlich nicht, er lässt Melzers Eingehen auf den Begriff „Lückenpresse“ einfach weg. Es reicht ja wohl offenbar, wenn man Melzer mit dem Begriff „Lügenpresse“ in Verbindung bringt.

Zum Schluss seines Artikel leistet sich Schirrmeister noch eine faustdicke Falschbehauptung, die man auch als Lüge bezeichnen kann. Es hatte von der Bremer Israel-Lobby natürlich auch Versuche gegeben, die Veranstaltung mit Abi Melzer zu verhindern. Der Rektor der Bremer Universität Professor Bernd Scholz-Reiter (der Vortrag fand im Gästehaus der Uni statt) hatte aber entschieden: „Die Universität ist ein Raum der freien Diskussion. Das bedeutet, auch konträre Positionen zuzulassen.“ Der TAZ-Schreiber merkt an: „Beim Melzer-Vortrag fand derartiges nicht statt. Im Gegenteil: Als proisraelische Aktivisten, die bis zuletzt ausgeharrt hatten, eine Frage stellen, bürstet Melzer die brüsk ab: ‚Quatsch!‘ sei das, ‚dazu sage ich nichts.‘ Beifall brandet auf. Und aus dem Publikum werden die Fragesteller angezischt, sie wollten ja wohl nur die Veranstaltung chaotisieren.“ Perfider und infamer geht es wirklich nicht. Denn nach dem Vortrag von Abi Melzer wurde eine halbe oder dreiviertel Stunde lang offen und freimütig diskutiert. Es kamen bestimmt etwa 15 Personen zu Wort – auch kritische Stimmen. Erst als ein – vermutlich antideutscher – Israelfreund den Begriff des „palästinensischen Vernichtungsantisemitismus“ in die Debatte brachte, sagte Melzer völlig zu Recht: „Quatsch! Darauf antworte ich nicht!“ Auf alle anderen Fragen war er ausführlich eingegangen.

Schirrmeisters Artikel über die Veranstaltung mit Abi Melzer ist ein Lehrbeispiel für infamen Journalismus. Er belegt, wie berechtigt die Kritik am deutschen Pressewesen ist und wie ernst die Befürchtung zu nehmen ist, dass bei so brisanten Themen wie dem Nahost-Konflikt die Meinungs- und Pressefreiheit bedroht ist. Genau das war Abi Melzers Thema. Vielleicht verhilft dem TAZ-Schreiber die Lektüre von Ulrich Teuschs Buch „Lückenpresse. Das Ende des Journalismus, wie wir ihn kannten“ zu einem etwas sauberen Verständnis seines Berufes.