Alliierter Hochkommissar Melnyk

Nahostpolitik

Zitat: „Was macht einen Mann wie Melnyk so stark, dass ihm selbst seine öffentlich bekundete Verehrung des ukrainischen Faschisten und Nazi-Kollaborateurs Bandera und seine Belobigung des rechtsextremen Regiments Asow als „mutige Kämpfer“ nicht schaden?

Hans-Georg Münster, 15.05.2022

Wie kann es sein, dass ein einzelner Diplomat wie der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk die Regierung eines der größten Industrieländer der Erde vor sich hertreibt, den Staatspräsidenten und den Bundeskanzler beleidigt und sich aufführt wie ein Elefant im Porzellanladen? Die Antwort ist erschreckend: Melnyk ist auch deshalb so stark, weil die deutsche Regierung so schwach ist und das Kabinett eine Mischung aus Unerfahrenheit und politischer Dummheit darstellt. Schlimmer noch: Melnyk ist keiner der sprichwörtlichen Traumtänzer, die sich in deutschen Talkshows auszutoben pflegen, sondern hinter seinen geschickten Inszenierungen erscheint ein strategischer Plan, der aller Wahrscheinlichkeit nach in den USA ausgeheckt wurde.

Eine Zeitlang hätte man fast meinen können, das Melnyk in Berlin und sein Präsident Wolodymyr Selinskyj in Kiew überreizt hätten und die deutsche Regierung sich die zahlreichen Provokationen und Beleidigungen nicht mehr bieten lassen würde. Immerhin hatte es Selenskyj gewagt, das deutsche Staatsoberhaupt Frank-Walter Steinmeier unmittelbar vor seinem geplanten Besuch in Kiew wieder auszuladen. Melnyk hatte schon zuvor Steinmeier beleidigt, indem er ihm vorwarf, während seiner Zeit als Außenminister ein „Spinnennetz der Kontakte zu Russland“ geknüpft zu haben, das jetzt in der deutschen Regierung weiter wirke.

Auftrieb gab diesen Vermutungen der Bundespresseball, ein zum „Solidaritätsball für die Ukraine“ umetikettiertes Fest der Berliner Journalisten Ende April, bei dem Melnyk Stargast war. Die deutsche Politprominenz mied den Ball jedoch komplett. Steinmeier meinte, dies sei nicht die Zeit für Tänze und ließ damit wie die anderen Kabinettsmitglieder Melnyk allein im vornehmen Berliner Hotel Adlon stehen. Der holte in einer Rede vor den Teilnehmern zum Rundumschlag aus: „Umso mehr finde ich es schade, dass viele Politiker hauptsächlich durch ihre Abwesenheit glänzen. Doch wenn sie hoffen, dass sie dadurch kritischen Fragen entgehen, dann irren sie sich.“

Nachdem Melnyk den deutschen Bundespräsidenten mehrfach scharf angegriffen hatte, war es nicht weiter verwunderlich, dass Bundeskanzler Olaf Scholz die brüskierende Ausladung des Präsidenten auch als Hindernis für eine eigene Reise nach Kiew bezeichnet hatte. Melnyk überzog Scholz daraufhin mit dem Vorwurf, der deutsche Bundeskanzler verhalte sich wie eine „beleidigte Leberwurst“.

Die standfeste deutsche Haltung dauerte keine zehn Tage, dann hatten Melnyk, Selenskyj und vermutlich mächtige Hintermänner die Bundesregierung wieder dort, wo sie sie haben wollten. Scholz telefonierte mit Selenskyj und sicherte dem ukrainischen Präsidenten „Solidarität, Respekt und Unterstützung für den mutigen Kampf des ukrainischen Volkes gegen die russischen Aggressoren“ zu. Außerdem wurden Blitzbesuche deutscher Politiker vereinbart. Zuerst durfte sich Bundestagspräsidentin Bärbel Bars (SPD), die das nach dem Bundespräsidenten zweithöchste deutsche Staatsamt bekleidet, auf dem Weg nach Kiew machen. Kurz danach folgte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die sichtlich ergriffen wieder die schwarz-rot-goldene Fahne vor der geräumten deutschen Botschaft in Kiew wieder hochzog – eine Geste, die einem Kniefall vor Selenskyj nahekommt. Bis Steinmeier und Scholz nach Kiew reisen werden, dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein. Kiew entwickelt sich immer stärker zur Pilgerstätte für bußbereite deutsche Politiker, denen man das Prädikat Staatsmann nicht mehr zusprechen mag. Auch der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, ein Diener der amerikanischen Hochfinanz (Blackrock), machte schon in Kiew seine Aufwartung.

Was macht einen Mann wie Melnyk so stark, dass ihm selbst seine öffentlich bekundete Verehrung des ukrainischen Faschisten und Nazi-Kollaborateurs Bandera und seine Belobigung des rechtsextremen Regiments Asow als „mutige Kämpfer“ nicht schaden? Gewiss, der 1975 geborene Melnik hat als Jurist und Diplomat eine hervorragende Ausbildung erfahren, und er versteht vor allem auch das Spiel mit den Medien, was aber auch ein Spiel mit dem Feuer sein kann. Der Journalist Gabor Steingart spottete kürzlich, in deutschen TV-Redaktionen gehe es nur noch um die Frage, ob man Melnyk nur zuschalten oder gleich ins Studio holen solle. Sprachliche Macht, wie Melnyk sie zweifelsohne hat, reicht allein nicht aus. Was nicht gehe, sei eine Sendung ohne Melnyk.

Aber auch deutsche Journalisten haben ein Gespür, ob ihr Gegenüber nur ein Schaumschläger ist oder tatsächlich Macht verkörpert. Manche Äußerungen Melnyks wirken, als wisse er mehr und kenne den Fahrplan vor allem der US-Administration, ehe andere ihn kennen oder Beschlüsse öffentlich gemacht werden. Früh forderte er die Lieferung schwerer Waffen von Deutschland, und noch bevor in der Ukraine der erste Schuss fiel, forderte Melnyk als „präventive Sanktionen“ bereits den Ausschluss Russlands vom internationalen Zahlungssystem Swift und einen Stop der Gaspipeline Nord Stream 2. Nach Beginn der militärischen Auseinandersetzungen wurde vom Westen genauso verfahren, wie Melnyk es vorher dargestellt hatte. Der Botschafter ist sicher kein Regisseur, aber er scheint das Drehbuch zu kennen.

Wer wagt es noch, dem ukrainischen Botschafter die Stirn zu bieten? Es sind die Alten in Deutschland – altgediente Künstler, Publizisten und frühere Politiker, denen ihre Lebenserfahrung sagt, dass in Europa ein Spiel mit dem Feuer, bald vielleicht sogar mit dem atomaren Feuer stattfindet. Und so warnten in einem öffentlichen Appell an Kanzler Scholz Publizisten wie die Herausgeberin der feministischen Zeitschrift Emma, Alice Schwarzer, und auch der Sänger Reinhard Mey vor der Abgabe von schweren Waffen an die Ukraine, weil das für sie einem direkten Kriegseintritt Deutschlands gleichkommt. 180.000 Bürger sollen diesen Appell inzwischen mitgezeichnet haben. Der politisch-mediale Komplex in Berlin schäumt vor Wut.

Hamburgs früherer Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) forderte klipp und klar: „Der Botschafter ist einzubestellen, im Falle Steinmeier ebenso wie im Falle Scholz. Es ist eine offizielle Entschuldigung von Präsident Selenskyj und Botschafter Melnyk einzufordern. Bleibt beides aus, wäre Herr Melnyk zur persona non grata, zur unerwünschten Person zu erklären, und er müsste Deutschland verlassen. Ein neuer Botschafter würde erst akkreditiert, wenn die Entschuldigungen eingegangen sind.“

Dohnanyi sprach an, was in Deutschland regelmäßig verschwiegen wird. Die Ukraine sehe sich immer im Recht, aber sie habe ihre Verpflichtung nach dem Minsker Abkommen, für den Donbass ein Autonomiegebiet zu schaffen, ignoriert. Die Regierung in Kiew kenne keine Selbstkritik und habe selbst wenig zur Sicherung des Friedens beigetragen. Kurz und knapp formulierte der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), ihn erinnere Melnyks Auftreten an den sowjetischen Botschafter in der DDR, dessen robustes Verhalten aber wenigstens nicht öffentlich stattgefunden habe.

Die Warnungen der Alten verhallen jedoch ungehört, die Äußerungen von Dohnanyi und Thierse erschienen nur in regionalen Zeitungen, in Berlin mit seiner infantil wirkenden politischen Klasse spielen diese Stimmen keine Rolle. Deutschland ist zu einem Land mutiert, das führungslos durch die Weltgeschichte taumelt und in dem der Rat der Weisen nichts mehr zählt, sondern diese als alte weiße Männer mit Hang zum Chauvinismus ins Abseits gestellt werden. Nur in diesem Umfeld kann sich Melnyk aufführen wie ein alliierter Hochkommissar und ein ganzes Land auf den Abgrund des Krieges zutreiben.

Quelle: www.antikrieg.com