Am Scheideweg

Nahostpolitik

Von Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait, Juristin und Diplomatin a.D., 07.06.2021

Betr.: „Internationaler Frühschoppen“ im Fernsehsender „Phoenix“ am Sonntag 6.6.21: „Vor dem Biden-Putin Gipfeltreffen. Hohe Erwartung, wenig Hoffnung

Das Fehlen jeglicher außenpolitischer Position der EU und Deutschlands

Die Diskussion im „Internationalen Frühschoppen“ bei „Phoenix“ am Sonntag 6.6.21 belegt die Null-Außenpolitik Deutschlands und Europas. Berlin und die EU haben gar nichts zu sagen, es fehlt jegliche außenpolitische Position. Stattdesen warten sie darauf, von US-Präsident Biden und seinen Leuten zu erfahren, welche Position einzunehmen ist. Das machte auch der Internationale Frühschoppen am heutigen Sonntag deutlich.

Klare Kante zeigen, ist angesagt – russlandfeindliche NATO-Cliquen in ihre Schranken weisen

Die uneigenständige, fehlgeleitete Außenpolitik Deutschlands und der EU hat vernichtende Folgen, die die Existenz Deutschlands und Europas in Gefahr bringen. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist herausgefordert, mit dem Gewicht ihrer Autorität, das Land und den Kontinent aus dieser höchst riskanten Lage herauszunehmen und die russlandfeindlichen NATO-Cliquen in ihre Schranken zu weisen. Klare Kante zeigen, ist angesagt. Deutschland braucht eine intelligente starke Führung. Christiane Hoffmann vom Magazin “Der Spiegel“ war die einzige Journalistin, die davor warnte, immer mit den USA gemeinsame Sache zu machen. Die US-Aggressivität, ihre Interventionskriege und Einmischungen überall, die NATO-Ausweitung bis an die Grenzen Russlands – gegen dessen Sicherheitsinteressen – sind zu erkennen. Deutsche und US-Interessen sind schließlich nicht deckungsgleich.

Keine Klarheit über Sinn und Zweck bevorstehender Europa-Reise von Biden

Von „klarer Kante“ oder „roten Linien“ zu sprechen ist nicht nur banal, sondern belanglos. Seit mehr als 30 Jahren waren die US-amerikanischen-russischen Beziehungen nicht so schlecht wie heute. Sie sind zur Zeit an einem Tiefpunkt angelangt. Was bezweckt Joe-Biden mit seiner Europa-Reise? Was will er erreichen? Keine klare Antwort in der heutigen Runde des „Internationaler Frühschoppen“.

Joe Biden – letzte US-Karte zur Rettung der US-Dominaz in Europa

Die Zusammenarbeit zwischen Minsk und Moskau, die sich verstärkt hat, ist eine bekannte Tatsache. Keine Sanktionen wird diese enge russisch-belarussiche Zusammenarbeit ändern. Im Gegenteil. Auch die enge Beziehung und wirtschaftlich-finanzielle Verpflechtung Russlands mit China ist bekannt und nicht neu. Daraus entsteht von allein eine neue Weltordnung. Auch im Nahen Osten profilieren sich neue Machtverhältnisse. Die Kehrtwende Saudi-Arabien mit seiner Annäherung an den Iran und Syrien ist schon eine Schlappe für den Block USA/EU. Zusammen mit Russland und China kann eine Islamische Union die Aggressivität der USA bremsen und den Aufbau der Nahost-Region fördern. China ist deshalb ein Dorn im Auge für die Machthaber in den USA mit Weltbeherrschungsanspruch, also für Joe Biden, nicht für Putin. Realistisch ist zu erkennen, dass Joe Biden die letzte Karte der USA darstellt, um ihre Dominaz in Europa zu retten, oder subtiler ausgedrückt, die transatlantischen Beziehungen, wie Christiane Hoffmann im Frühschoppen heute intelligent hervorhob. Aber auch für die US-Machthaber selbst und ihrem Aushängeschild Biden ist Europa nicht wichtig. Wie die Journalistin des Spiegel ganz richtig bemerkte, ist es an der Zeit, dass Deutschland und Europa selbstständig werden. Aber gerade das verhindert eine ungebildete, rückständige korrupte Clique, die sich mit allen Mitteln an der Macht halten will. Stattdessen gibt es Posten und Pöstchen-Vergabe unter Gleichgesinnten bei vermeintlich risikoarmen Durchlavieren und Regieren gemäß Beliebtheitswerten bei Umfragen.

Abrüstung bei den USA beginnen und nicht bei Russland

Inzwischen hat Russland als Reaktion auf die maßlose Aufrüstung der USA seine Miltärtechnik umfangreich modernisiert und kann stellenweise technologisch einen Vorsprung aufweisen, obwohl Russlands Rüstungshaushalt meilenweit von dem der USA entfernt ist und sich eher in der Größenordnung von Großbritannien oder Deutschland bewegt. Deshalb muss die Abrüstung bei den USA beginnen und nicht bei Russland. Das hat aber die Moderatorin der Phoenix-Sendung Frühschoppen nicht klargestellt. Auch keiner der Teilnehmer. Das strategische Gleichgewicht zwischen der USA und Russland, also die Waffenbegrenzung wird Kernthema des Gipfels sein, gerade auch im Hinblick darauf, dass die USA verschiedene Rüstungsbeschränkungsabkommen mit Russland verlassen oder nicht erneuert hat. Auf diesen für die EU und Russland bedrohlichen, den USA anzulastenden Sachverhalt fehlte jeglicher Hinweis in der heutigen Frühschoppen-Sendung. Das ist ein alarmierendes Zeichen von versuchter Meinungsmache im Sinne gewisser US-Interessen oder von Unfähigkeit der betroffenen Phoenix-Redaktion.

USA gegen Russland zu weit gegangen

Es ist auffällig bemerkenswert, dass die Initiative für das Gipfeltreffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vom US-amerikanischen Präsidenten Joe Biden ausgeht. Das Weiße Haus hat sicherlich erkannt, dass seine irrsinnig bedrohliche Außenpolitik gegenüber Russland völlig kontraproduktiv ist und die USA sich damit selbst in Gefahr bringen: Sie sind zu weit gegangen. Deshalb sucht der US-Präsident Joe Biden jetzt auf einmal nach Entspannung und Deeskalation, nachdem das Weiße Haus das Pentagon gewähren ließ, riesige, für Russland bedrohliche Militärmanöver in unmittelbarer Nähe Russlands zu unternehmen und Russland darauf mit eigenen Truppenbewegungen und Manövern antwortete. Die unsinnige feindselige Haltung der EU-Außenminister, die sich in der Vergangenheit von einem perfiden britischen Premier und anderen Beton-Köpfen manipulieren ließen, um die Wirtschaftssanktionen gegen Russland weiter zu verlängern oder sie sogar zu verschärfen, lassen deutlich den Widerspruch der EU, ja sie als Hindernis zu einer wünschenswerten Entspannungspolitik erkennen.

Gemeinsame Interessen Russlands und der USA auf kommenden Gipfel Biden – Putin im Vordergrund

Auch die Ukraine, Syrien, Libyen, Afghanistan – mit anderen Worten die gemeinsamen Interessen Russlands und der USA werden die Schlagzeilen sein, nicht die Sanktionen. Und nicht so sehr Belarus, sondern die Ukraine. Sich im Frühschoppen so ausführlich auf die Sanktionen einzulassen, vermittelte den Eindruck, als ob der Sender Phoenix wollte, dass die willkürlichen Sanktionen bestehen blieben. Christiane Hoffmann (Der Spiegel) bemerkte auch: „Alle hier plädieren stark für Sanktionen“. Auch das inexistente Atom-Abkommen mit dem Iran widerbeleben zu wollen, ist ein abwegiger Wunsch. Der Iran wäre wirklich dumm, wenn es sich nochmal auf ein solches oder ähnliches Abkommen einließe, in der Hoffnung, die USA würden dann die Sanktionen aufheben. Nach allem, was war, ist Washington nicht zu trauen, weder seitens des Iran noch seitens irgendeines anderen Landes. Das zeigt die jüngste Geschichte.

Masche von „Menschenrechten“und „Demokratie“ zieht nicht mehr

Die Masche von „Menschenrechten“und „Demokratie“ wird schon viel zu lange vom Westen strapaziert, um sich in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes aus eigenen egoistischen Motiven einzumischen und militärisch einzugreifen. Diese Masche zieht nicht mehr. Der Auftritt von US-Präsident Joe Biden für Menschrechte ist widerlich heuchlerisch. Extrem scheinheilig will er sich als Vorkämpfer für Menschenrechte ausgeben und für eine gescheiterte angebliche „Demokratie“, nachdem er skrupellos elf Tage lang die Gräueltaten Israels gegen die Bevölkerung in Gaza tatenlos duldete (10.5. bis 21.5.21). Mord und Vernichtung ließen ihn kalt. Seine grausame Unterlassung macht ihn schuldig als Verbrecher gegen die Menchlichkeit und als Anstifter zu Mord, seitdem sein Außenminister Blinken Israel einen Freibrief gab, um Bomben auf Gaza zu werfen! Joe Biden wird einmal vor ein Strafgericht gestellt werden müssen.

Gute Beziehungen Deutschlands mit China und mit Russland

Deutschland hat sehr gute Beziehungen mit China und wird sie nicht auf’s Spiel setzen. Deutschland verkauft inzwischen im Wert mehr Güter an China als an die USA. Die deutsche Industrie und ihr Handel werden sich nicht von den guten Beziehungen mit China abbringen lassen, im Gegenteil, die deutschen Geschäfte mit China wie die chinesischen mit Deutschland werden rasant und in enormen Ausmaß zunehmen. Joe Biden hat diese Lage zu respektieren, genauso wie er das deutsch-russische North-Stream-Projekt zuletzt akzeptieren musste, nicht als eine Geste an Russland, sondern als eine Geste an Bundeskanzlerin Angela Merkel, denn er will Deutschland nicht als Partner verlieren. Angela Merkel war und ist fest entschlossen, das North-Stream Projekt vollenden zu lassen, denn es ist im deutschen wie europäischen Interesse, offenbar jedoch nicht im Interesse der USA.

Forschenden Blick auf andere Länder werfen, um für wirtschaftlich-sozialen und wissenschaftlich-kulturellen Fortschritt zu lernen

Selbstverständlich gibt es eine „Konkurrenz unter Weltanschauungen“ und ihrer praktischen Umsetzung in der Organisation und Kultur von Gesellschaften. Bei ihrer Betrachtung ist Vorsicht beim Verwenden bestimmter Begriffe geboten: Die neoliberale Demokratie im Westen ist keine echte Demokratie, sondern eine Oligarchie. Die Interessen der Mehrheit der Staatsbürger spielen keine ernst zu nehmende Rolle. Oligarchen entscheiden, was für die Mehrheiten richtig sein soll. Gute Bildung bleibt unerwünscht, sie würde ja das etablierte Oligarchen-System gefährden. Stattdessen werden Immer mehr staatliche Fürsorgeaufgaben der privaten Kapitalverwertung zugeführt, die den Besitzstand der Oligarchen vermehrt und ihren gesellschaftlichen Einfluss, ihre Machtbasis, ihre Herrschaft sichert. Die politische Willensbildung geschieht mit Hilfe eines Parteiensystems, das sich nach und nach die Gesellschaft per Gesetz und Verordnung weitgehend zum Selbstbedienungsladen umgestaltet hat und solange dabei unbehelligt bleibt, solange es brav die privaten Kapitalverwertungsinteressen wahrnimmt und den Massen gut zu verkaufen weiß. Ein autoritäres präsidentielles System, das die große Mehrheit der Staatsbürger zur gesellschaftlichen Beteiligung und Verantwortungsübernahme zwingt, wäre sicherlich viel wirksamer im Hinblick auf den sozialen und wissenschaftlich-kulturellen Fortschritt. Ein forschender Blick auf Russland, auf China, auf Vietnam, auf Japan und andere Länder, einschließlich der untergegangenen DDR, würde helfen zu lernen, um einen eigenen Weg in eine bessere unabhängige friedliche Zukunft für Europa zu finden. Wir stehen am Scheideweg.