Folge von US-Rechtsbrüchen in Deutschland: Verpflichtungen gegenüber Washington überprüfen

Nahostpolitik

Von Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait, Juristin und Diplomatin a.D., 16.05.2015

Zu aller erst ein Glückwunsch an die Moderatorin, Anne Will, zu ihrer hervorragenden ARD-Fernsehsendung vom 13.5. Sie bewies noch einmal ihre hohe Professionalität durch kompetente zutreffende Fragen, die das Problem auf den Punkt brachten. Es wurde sichtbar, dass sowohl bei den betroffenen CSU- und SPD-Politikern als auch beim Bundeskanzleramt eine sachliche Aufklärung über die Beziehungen zu den USA generell dringend notwendig ist, um die schon bekannten Fakten hinsichtlich der US-Spionage so wahrzunehmen, wie sie sind und dann die angemessenen Konsequenzen besonnen und rechtmäßig aus ihnen zu ziehen.

Nach der eindeutigen ausführlichen Klarstellung der Lage von der ehemaligen Bundesjustizministerin (FDP), Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und von dem investigativen Journalisten Georg Mascolo war in der Anne-Will-Sendung (13.5.) die defizitäre Wahrnehmung des Mitgliedes im Innenausschuss des Bundestages, Stephan Meyer (CSU) und des SPD-Teilnehmers Thorsten Schäfer-Gümbel offensichtlich. Beide konnten oder wollten nicht wahrhaben, dass die langen Verhandlungen und Gespräche für ein hierzulande sogenanntes „No-Spy-Abkommen“ mit den USA auf BND und NSA-Ebene nicht zum Ziel geführt haben und auch zu keinem Ziel führen werden, weil im Endeffekt nicht die NSA die Befugnis dazu hat, sondern das Weiße Haus. Nur das Weiße Haus kann sagen, ob es ein solches Abkommen geben soll. Und das hat das Weiße Haus nie gesagt. Im Gegenteil. Die Erklärung von Präsident Obama selbst machte es deutlich, dass es nie beabsichtigt war, und zwar bestand diese Barriere schon 2013 auf höchster politischer Ebene. Sie war auch hier klipp und klar erkennbar, als zuerst der Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und später der SPD-Außenminister Walter Steinmeier nach Washington flog in der falschen Annahme, dass er die Blockade im Weißen Haus durchbrechen könnte. Walter Steinmeier musste die Haltung Washingtons nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern auch die Bundeskanzlerin oder das Bundeskanzleramt ausführlich darüber informieren. Hat er das getan?

Aufgrund seines Egos und seiner Eitelkeit wollte Walter Steinmeier das Ergebnis seines Treffens mit dem Kanzleramtsminister Peter Altmeier und Bundesinnenminister Thomas de Maizière nicht wahrnehmen, dass weitere Gespräche mit der US-Regierung schon in jener Zeit nicht weiterführen würden. Deshalb überrumpelte er die Bundeskanzlerin, wagte die Regierungsentscheidung der Kanzlerin, ihres Innenministers und ihres Verteidigungsministerin zu desautorisieren. Eine miese Kampagne der SPD gegen die CDU, ein Sprung ins abseits, gegen die Würde des Landes. Typisch für den Realitätsverlust an der SPD-Spitze, der nur die mediale Wichtigtuerei übrigbleibt.

Allerdings wurde Steinmeier bei seinem Auftritt nichts anderes als ein einsamer Bittsteller, genauso wie vorher anlässlich der NSA-Affaire der CSU-Innenministers auf seiner Reise nach Washington (Juli 2013), die sich in der Tat als vollkommen erfolglos erwies. Der Außenminister Steinmeier erlebte dieselbe Blamage wie der damalige CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich. Friedrichs Auftritt war damals (Juli 2013) eine Null, ohne konkrete Ergebnisse, einfach ein Desaster. Die USA haben ihn in Washington abblitzen lassen. Lediglich ein erbärmlicher CSU-Bundesinnenminister applaudierte sich selbst. Er wollte sein Scheitern vor den USA nicht einsehen und blieb völlig realitätsfremd bei der Illusion eines inexistenten Erfolgs getäuscht: Ein Handschlag und ein „Guten Tag“ mit dem US-Vizepräsidenten vor der Kamera genügten als Theater für eine deutsche Öffentlichkeit, so meinte man wohl in den entsprechenden Gremien. Von der SPD haben wir dieselbe betrügerische mediale Inszenierung erlebt. Die Reise von Walter Steinmeier wurde ein Flop.

Unverständlicherweise reiste danach die Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr 2014 nach Washington mit der selben Absicht, ein sogenanntes No-Spy-Abkommen zu ermöglichen, das eigentlich von deutscher Seite – nicht von amerikanischer Seite – hauptsächlich erarbeitet worden war. Aber daraus ist auch nichts geworden, weil das Weiße Haus entscheiden musste und die Entscheidung war schon getroffen. Das hätte der SPD-Außenminister wissen müssen, denn er war zuvor (Ende 2013) nach Washington geflogen. Glaubte man im Bundeskanzleramt wirklich, glaubte man in der SPD, dass Angela Merkel die Entscheidung des Weißen Hauses ändern könnte? Schon als die Bundeskanzlerin in Washington ein No-Spy-Abkommen zu erreichen versuchte, war durch die eindeutige Weigerung des US-Präsidenten klar, dass sich Washington von seiner praktizierten Routine nicht abbringen lassen würde. Auch nicht von einer „verärgerten“ Angela Merkel. Kleinkarierte mediale Kommentare entsprachen hierzulande dem von oberster Stelle angeordneten Schweigen und der Relativierung der maßlosen US-Spionage gegen Europa. Deutsche Spitzenpolitiker verhandelten weiter mit den USA, als wäre nichts gewesen. Dasselbe Fehlverhalten, dieselbe Würdelosigkeit lässt sich heute beim SPD-Außenminister Walter Steinmeier beobachten. Seine banalen Worte über eine „Partnerschaft“ sind völlig daneben und am absurdsten im Zusammenhang mit einem Vertrauensbruch eines angeblichen „Partners“. Anstatt sich seinem außenpolitischen Metier selbstsicher würdig zu widmen, inszenierte der SPD-Außenminister (Ende 2013) ein Theater für die deutsche Öffentlichkeit und meldete eine Reise nach Washington. Was wollte er dort? Sein Kollege John Kerry hatte kaum Zeit für ihn, da er mit Palästina (Gaza) beschäftigt war. Eine „Entschuldigung“ gab es nicht, sondern nur ein Handschlag mit einem untergeordnetem US-Verantwortungsträger, nicht mit Kerry. Nichts änderte sich an der Sache: Die USA als hegemoniale Macht spionieren weiter, und alle anderen „Partner“ auch.

Damals hatte der ehemalige Bundeskanzleramtschef, Ronald Pofalla, nicht die Lage dargestellt, wie sie war. Er führte die Öffentlichkeit in die Irre, obwohl der Stand der Dinge schon bekannt war. Aus der engsten Entourage des Präsidenten Barack Obama im Weißen Haus kam die folgende Erklärung am 8.1.2014: „Dies wird kein No-Spy-Abkommen werden, und ich glaube, jeder hier auf unserer Seite hat das auch fortwährend die ganze Zeit über klar zum Ausdruck gebracht“. (Anne Will-Sendung am 13.5.15)

Es war höchst töricht, die Bundeskanzlerin Angela Merkel unter solchen Umständen nach Washington zu entsenden in dem naiven Glauben, sie könnte die Entscheidung des Weißen Hauses umstimmen. Das ist gravierende fehlende Kenntnis der amerikanischen Außenpolitik, Mangel an Kenntnis und Mangel an Realismus darüber, mit wem es Deutschland zu tun hat. Führende deutsche Politiker lassen die nüchterne Überlegung und Begrifflichkeit darüber völlig außer Acht, welcher Art Supermacht die Bundesrepublik Deutschland gegenübersteht, nämlich eine Hypermacht, die für sich in Anspruch nimmt, der alleinige Weltherrscher zu sein und die sich deshalb skrupellos über alle Normen und Grundsätze stellt. Der Mangel an einem realistischen Urteilsvermögen gegenüber den USA ist bei deutschen Politikern und Medien offensichtlich. Sie betrachten die Welt immer noch in kindischen Kategorien von Freund und Feind und stellen die Weltverhältnisse mittels der einseitigen US-amerikanischen Sichtweise falsch dar. Gerade hier muss der Geist der Wahrheit einkehren, um Trug und Schein medial zu verbannen. Heribert Prantl schreibt in der Süddeutschen Zeitung vom 15.5. („Spionageskandal – Die Kanzlerin der Verdunkelung“) zutreffend: „Das Staatswohl ist nicht das Wohl irgendeines Abstraktums. Es ist das Wohl der Menschen, die in diesem Staat leben. Und das Wohl dieser Menschen besteht zu aller erst darin, dass deren Grundrechte geachtet werden.“ Gegen diese Grundrechte wurde ein Rechtsbruch begangen. Das rechtsbrüchige Vorgehen und der Hauptakteur nämlich der Rechtsbrecher sind schon bekannt und stehen über dem NSA-Untersuchungsausschuss. Darüber fehlt die Klarheit bei Prantls Kommentar. „Selektorenlisten“ und ihre Aushändigung sind zweitrangige Aspekte der US-Spionage, die am Kern des Problems nichts ändern. Denn deutsche Politiker streben danach oder zumindest wäre das ihre Aufgabe, dass die US-Spionage, also der Verstoß gegen deutsches Recht auf deutschem Boden aufhört. Aber das Weiße Haus stellt sich diesem Ziel in den Weg, indem es sich öffentlich weltherrisch verweigert, was allgemein bekannt ist. Die Anne-Will-Sendung war aufklärerisch genug darüber. Die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat den Stand der Dinge dort ausführlich erklärt. Der Ausgang aus der deutschen Unmündigkeit, die nach der langen Vorgeschichte von US-Rechtsbrüchen jetzt überfällig ist, besteht dann darin, die angemessene politische Entscheidung auf Bundesebene zu treffen.

Seit dem ersten Irak-Krieg 1991 und allen nachfolgenden Kriegsaggressionen der USA haben es deutsche Bundesregierungen verpasst, sich darüber im Bilde zu sein, nämlich über die Maßlosigkeit einer Partnerschaft, die keine Partnerschaft unter Gleichen ist, weil sich der Partner über Recht und Gesetz stellt. Das geschieht eigentlich schon seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als die USA das Potsdamer Abkommen verkannten und dagegen verstießen. Aus dieser Partnerschaft ist so Komplizenschaft mit Kriegsverbrechen geworden. Und Medien und Politiker schlossen die Augen dabei, ignorieren die Fakten und zogen keine normalen Konsequenzen aus den Untaten des übermächtigen Weltherrschers. SPD – aber vor allem CSU-Politiker – Bayern war US-amerikanisches Besatzungsgebiet – haben die Kaltschnäuzigkeit Washingtons jahrzehntelang einfach hingenommen. Dabei ist wohl auf deutscher Seite eine Art Minderwertigkeitskomplex im Spiel und eine unreflektierte Bewunderung für die USA. Daraus folgt: Deutsche Politiker und vor allem deutsche Medien, allen voran die Süddeutsche Zeitung in München, blieben in der US-Manipulation gefesselt, so sehr, dass sie bei jedem Konflikt vor jeder endgültigen Stellungnahme US-Hinweise erwarten.

Die irritierte Reaktion von US-Agenten auf die Enthüllung ihrer Tätigkeiten auf deutschem Boden entspricht der Haltung einer Hegemonialmacht, die es jahrzehntelang gewohnt war, auf westdeutschem Territorium alles zu tun, was ihr passt. Schon als die deutsche Einheit auf der Tagesordnung stand, gab es „Konsultationen“ mit der US-Botschaft. Deutsche Verantwortungsträger fühlen sich geehrt und „verpflichtet“, US-Regierungsbeamten ohne Aufforderung, ohne Verpflichtung alles freiwillig zu erzählen. Diese Bereitwilligkeit entspricht der völlig fehlenden Selbstachtung, dem fehlenden Selbstbewusstsein gegenüber dem eigenen Land. Erst hat Bonn, dann Berlin niemals seine Souveränität richtig erfasst, sondern handelte in williger Abhängigkeit vom Hegemon, vor und nach der deutschen Einheit. Das ist keine Freundschaft, sondern einfach Dummheit, reine Vernachlässigung der eigenen Interessen und fehlende Wahrnehmung der eigenen Souveränität.

Der Charakter der USA als Weltherrscher wird in den politischen Regierungskreisen nicht wahrgenommen. Die Präsenz der Bundeskanzlerin hat Obama gezwungen, die deutsche Version der Angelegenheit öffentlich zu dementieren. In der Tat kam ein Dementi der deutschen Darstellung vom amerikanischen Präsident selbst (auf der Pressekonferenz mit Angela Merkel im Jahr 2014). Die Kanzlerin war nicht darauf vorbereitet und blieb fast ohne Reaktion. Zweifellos werden die USA weiter in Deutschland spionieren und nicht nur in Deutschland, sondern in allen Ländern. Mit oder ohne Übergabe der „Selektorenliste“ an den NSA-Untersuchungsausschuss.

Die Abhängigkeit Europas von den USA und das vollkommen fehlende europäische Selbstbewusstsein werden medial offenkundig.

Eine Regierung darf nicht die Öffentlichkeit in die Irre führen. Die Verantwortung dafür fällt auf den damaligen Bundeskanzleramtschef, Ronald Pofalla. Der Fall belegt die Vasallen-Attitüde von CDU/CSU/SPD-Kreisen. Gegenüber der US-Dominanz trauen sie sich nicht, eigene Positionen zu vertreten und Maßnahmen anzuordnen. Sie geben klein bei. Wir stehen vor einem eklatanten Rechtsbruch seitens Washingtons. Deutsches Recht ist gebrochen worden und trotz der Versuche der Bundesregierung, alles zu regeln, weigern sich die USA, ein angemessenes Abkommen zu treffen. Welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen?

Juristisch betrachtet ist Washington verantwortlich, gegen das Grundgesetz, gegen die allgemeine deutsche Rechtsordnung verstoßen zu haben. Das Weiße Haus erfüllt so nicht seine legalen Verpflichtungen gegenüber dem Rechtsstaat Deutschland, das sogar als Alliierter der USA gilt. Das muss in einer diplomatischen Note klargestellt werden. Es handelt sich um ein wichtiges Anliegen, das die Einbestellung des US-amerikanischen Botschafters im Außenministerium rechtfertigt. Gleichzeitig müsste ebenso der deutsche Botschafter in Washington im State Department vorstellig werden, und zwar mit dem einfachen und präzisen Zweck, den Rechtsbruch zu beklagen. Es muss der US-Regierung klargemacht werden, dass sich Berlin unter diesen Umständen gezwungen sieht, seine Verpflichtungen gegenüber Washington zu überprüfen. Damit ist die Partnerschaft infrage zu stellen. Anne Will brachte absolut zutreffend den Begriff „Partnerschaft“ ins Spiel, aber keiner der Teilnehmer griff ihn auf, um die richtigen Folgerungen zu ziehen.

Die angebliche unentbehrliche Abhängigkeit des BND von der technologischen Überlegenheit der gigantischen Apparate der NSA, um die Gefahren im Nahen Osten auszuforschen, ist zu relativieren. Die unterschiedliche Sichtweise der USA und andererseits Deutschlands hinsichtlich Syrien, Irak, Iran und anderer wichtiger Länder im Nahen Osten ist entscheidend, um eine andere Herangehensweise an die Problematik Naher Osten zu überlegen. Die deutsche Präsenz dort durch normale diplomatische Beziehungen ist wiederherzustellen. Gute diplomatische Beziehungen und die Kooperation des BND mit den dortigen Regierungen sind ohne Verzögerung in den Vordergrund zu stellen.

Wer die internationale Rechtsordnung ständig ignoriert und missachtet, schafft nur Unordnung und Chaos. Genau das widerspiegelt sich in der bisher inkonsistenten deutschen Außenpolitik, die sich aus dem Befolgen von US-Politikvorgaben und der Ergebenheit gegenüber US-Einflüssen und geheimen US-Operationen in Deutschland und Europa ergibt.

Nicht mit der NSA sondern mit den russischen Behörden sollte Berlin weiter arbeiten, wenn es darum geht, die Gewalt und den Terrorismus in Syrien zu beenden. Washington hat erst durch gravierende Fehlentscheidungen den Syrien-Konflikt auf die Spitze getrieben, ohne eine politische Lösung zu ermöglichen. Durch die Mithilfe bei der unverantwortlichen Bewaffnung und Finanzierung unberechenbarer Aufständischer hat das Weiße Haus in der Tat mehr als drei Jahre lang dem Terror in Syrien freie Bahn gelassen. Es ist längst an der Zeit, das Blutvergießen und Chaos in Syrien schleunigst zu stoppen, und zwar aufgrund von Diplomatie auf höchster Ebene zusammen mit der wiedergewählten Regierung in Syrien. Ja, der syrische Präsident Baschar Al-Assad ist anzuerkennen, denn er ist von den Syrern mit überwältigender Mehrheit am 3. Juni 2014 wiedergewählt worden. Christen haben immer sicher und friedlich unter ihm gelebt genauso wie früher im Irak. Deutschland muss endlich die Kurve kriegen. Mit dem Iran ist es auch an der Zeit, fair zu verhandeln, ohne die zionistische falsche Konstruktion einer vom Iran ausgehenden Atomwaffengefahr, die überhaupt nicht besteht.

Hinsichtlich der wiederholten Verstöße seitens der Washingtoner Regierung gegen die deutsche Rechtsordnung, gegen das Grundgesetz, das die Menschenrechte und die persönlichen Freiheiten der Bewohner Deutschlands garantiert, muss die Regierung Deutschlands selbstverständlich politisch reagieren, und zwar mit einer diplomatischen Note an das Weiße Haus. Darin sollte Berlin klipp und klar manifestieren, dass die Folgen der Vertragsverstöße allein von den USA zu verantworten seien.