Israel – ein Produkt der ideologischen Raumplanung

Nahostpolitik

Viktoria Waltz schildert in ihrem neuen Buch „Monopoly“, wie die Zionisten ihr Kolonialprojekt durchsetzten

Von Arn Strohmeyer, 05.12.2013

Im Diskurs über Israel und seine Politik setzt sich immer mehr die realistische Sichtweise auf diesen Staat als zionistisches siedlerkolonialistisches Projekt durch. Der israelische Historiker Ilan Pappe benutzt diesen Begriff seit langem. Die deutsche Islamwissenschaftlerin Petra Wild hat ihn in ihrem Buch „Apartheid und ethnische Säuberung. Der zionistische Siedlerkolonialismus in Wort und Tat“ ausführlich mit wissenschaftlicher Akribie beschrieben. Sie definiert ihn folgendermaßen: „Der reine Siedlerkolonialismus, für den Israel ein Beispiel ist, strebt danach, die einheimische Bevölkerung durch eine eingewanderte Siedlerbevölkerung vollständig zu ersetzen. Die Grenzen werden stets weiter nach vorne verschoben und die einheimische Bevölkerung auf stets kleiner werdenden Flächen zusammengedrängt, um ihr Land und ihre Ressourcen für die Siedlerbevölkerung freizumachen. Charakteristisch für siedlerkolonialistische Gebilde sind neben territorialer Expansion ein ausgeprägter Rassismus in der Siedlerbevölkerung und die Behauptung, das Land sei menschenleer gewesen, als die Siedler kamen.“

Die frühere Dozentin für Raumplanung an der TU in Dortmund Viktoria Waltz beschreibt nun in ihrem neuen Buch „Israel. Monopoly ohne Grenzen“ im Detail, wie die Zionisten ihr Projekt, das zuerst der Begründer der Bewegung Theodor Herzl entworfen hatte, mit aller Konsequenz und Härte – um nicht zu sagen gnadenlos – durch- und umsetzten. Schon auf dem ersten Zionisten-Kongress in Basel 1897 hatte man die Strategie zur Errichtung des jüdischen Staates beschlossen. Damals sprach die Bewegung allerdings – wie auch 1917 die Balfour-Note der britischen Regierung – noch von einer „Heimstätte“, wohl um die Palästinenser, die das ins Auge gefasste Land bewohnten, und die internationale Öffentlichkeit nicht zu erschrecken. Aber es war klar, was gemeint war: ein exklusiv jüdischer Staat. Da Palästina aber voll bewohnt und nicht „leer“ war, wie die Zionisten behaupteten, waren die Konflikt programmiert.

An Warnungen – auch von jüdischer Seite – hat es nicht gefehlt. So schrieb etwa der deutsch-jüdische Philosoph Martin Buber im Mai 1948: „Dieser Zionismus entweiht den Namen Zion; er ist nicht mehr als einer der krassen Nationalismen unserer Zeit, die keine höhere Autorität als das – vermeintliche! – Interesse der Nationen anerkennen.“ Und weiter: „Dass dieses [zionistische] Programm offenen Kampf mit den Nachbarn und somit auch mit der arabischen Welt bedeutete, war offenbar: Welches Mehrheitsvolk würde sich kampflos in den Status einer Minderheit niederdrücken lassen!“

Hannah Arendt warf der zionistischen Bewegung zur selben Zeit vor, dass sie aus opportunistischen Erwägungen ihre wahren und eigentlichen Ziele verborgen hätte. Nun aber lägen sie offen zu Tage: Sie beanspruchten ganz Palästina, was für die Palästinenser nur die Alternative bedeute: Minderheitenstatus oder Verlassen ihres eigenen Landes. Damit habe man die Chance auf Zusammenarbeit und Gespräche mit den Arabern auf lange Zeit verwirkt. Und Albert Einstein hielt den Zionistenführer Menachem Begin schlicht für einen gefährlichen „Faschisten“:

Aber die zionistische Bewegung kümmerten solche Warnungen nicht. Sie hielten unbeirrt an ihrem Ziel fest, das Viktoria Waltz in der Sprache ihres Faches so formuliert: „Reduzierung des nicht-jüdischen Raumes bis zur Eliminierung, Ersetzung und Überformung durch einen rein jüdischen Raum.“ Und: „Bis ins kleinste Detail werden sämtliche Fachrichtungen und ihre wissenschaftlichen Zulieferer  für die gewünschte Rauminterpretation und Raumentwicklung, sprich für die Schaffung einer jüdischen Boden- und Bevölkerungsmehrheit eingesetzt, um dieses Ziel zu erreichen.“ Die Autorin sieht aber auch, was dieses Projekt zwangsläufig für Folgen haben musste und auch heute noch hat: Israel wurde ein absoluter Ausnahmestaat, ein Konstrukt, das aus einer speziellen Ideologie heraus entwickelt worden ist. Und wenn dieser Staat sich eine Demokratie nennt, dann gilt das nur für seine jüdische Bevölkerung, denn die palästinensischen Bürger Israels, die immerhin 20 Prozent der Einwohner dieses Staates ausmachen, gilt die Gleichheit vor dem Gesetz nicht. In allen Planungsgesetzen und Planungsprozessen spiegelt sich der rassistische, ethnisch ausgrenzende und diskriminierende Umgang mit der nicht-jüdischen Bevölkerung wider. Und die vier Millionen Einwohner in den israelischen Kolonien, also den besetzten Gebieten Westjordanland und Gazastreifen, müssen ohne jedes bürgerliche und politische Recht leben.

Die Schaffung Israels wurde aber auch nur möglich, das belegt der Text von Viktoria Waltz, weil die Zionisten in den Kriegen von 1948 und 1967 insgesamt 1,5 Millionen Palästinenser vertrieben haben und deren Boden und Eigentum konfiszierten. Die Autorin belegt auch, dass die Geburt Israels nicht die Folge der Tragödie der europäischen Juden (Holocaust) war, sondern schon Jahrzehnte früher mit einer ausgeklügelten und akribisch geplanten Strategie angestrebt und dann auch durchgesetzt wurde. Aber das Projekt ist noch nicht zu Ende durchgeführt worden. Denn das Ziel, einen rein jüdischen Staat in den Grenzen der Mandatszeit zu schaffen mit möglichst wenig oder gar keinen Palästinensern darin, ist noch nicht erreicht. Diesem Ziel wird alles untergeordnet und dazu ist „alles erlaubt“: vor allem brutale Gewalt und ständiges Drangsalieren der Kolonisten gegen die Kolonisierten, der Unterdrücker gegen die Unterdrückten, der reichen Besatzer gegen die armen Belagerten.

Das Schlimme an diesem nun schon seit Jahrzehnten bestehenden Zustand sind die Gleichgültigkeit und das Wegschauen der internationalen Staatengemeinschaft. Viktoria Waltz beschreibt diese Situation so: „Die USA in Zusammenarbeit mit den Europäern liefern das Sicherungsnetz für dieses Projekt mit ihren Sondergesetzen, mit Geld und Waffenlieferungen. Menschen- und Bürgerechte stehen dabei nur im Wege und haben keinerlei Geltung. Zur Verfolgung ihrer Ziele sind ihnen alle Mittel recht.“

Ausführlich geht die Autorin auf ein Problem ein, das gerade in den letzten Tagen hoch aktuell geworden ist: die Vertreibung der Beduinen aus der Negev-Wüste. Der Prawer-Plan, der am 11. September 2013 von der Knesset verabschiedet wurde, sieht die gewaltsame „Umsiedlung“ von 37 Beduinendörfern mit 40 000 Menschen in ein neues Areal in der Nähe der Abu-Dis-Müll-Deponie im Osten Jerusalems vor. Das bedeutet: Zwei Drittel des noch existierenden Landeigentums der Beduinen in der Region Be’er Shewa sollen enteignet werden. Viktoria Waltz schildert ausführlich, wie der zionistische Staat schon in der Vergangenheit die Existenzbedingungen dieser Menschen zerstört hat, die ein Teil der palästinensischen Gesellschaft in Israel und Bürger dieses Staates sind. Vor 1948 lebten in diesem Gebiet 80 – 90 000 Beduinen, die über 10 – 12 000 qkm Land verfügten und dort ihre Herden weideten. Sie sahen dieses Land seit Jahrhunderten als ihr Eigentum an und können dies auch mit Dokumenten belegen. Schon bei der ethnischen Säuberung 1947/48 wurden viele von ihnen vertrieben. Im Zuge der Enteignung des sogenannten „Abwesenden-Landes“ verloren die Beduinen damals schon 98 Prozent ihres Bodenbesitzes. Das Land wurde zu Staatsbesitz erklärt. Heute gibt es in Israel noch 190 000 Beduinen – 145 000 leben im Süden, 45 000 in Galiläa.

Die Negev-Wüste ist wegen ihrer Rohstoffvorkommen (Phosphor, keramische Stoffe, Erdöl, Erdgas und Eisen) für Israel von großer Bedeutung. Außerdem befindet sich dort der auch militärisch wichtige israelische Atommeiler Dimona. Deshalb müssen die Beduinen weichen. Ihre Lage kann ohnehin nur als bedauernswert bezeichnet werden. Da sie keinerlei staatliche Unterstützung, d.h. auch keinen Wasser- und Elektrizitätsanschluss, bekommen und ihnen jede Bautätigkeit untersagt ist, müssen sie in Ansiedlungen aus Zelten und Wellblechhütten (nicht anerkannten Dörfern) hausen, die bei Aktionen des israelischen Militärs und der Polizei immer wieder zerstört werden.

Diejenigen, die man erfolgreich weggejagt hat, wurden in sogenannte Beduinenstädte umgesiedelt, die zwar staatlich anerkannt sind, aber wegen der erzwungenen Aufgabe der nomadischen Lebensgewohnheiten ihrer neuen Bewohner und der sich daraus ergebenden sozialen Spannungen schnell zu suburbanen Ghettos oder zu Slums mit hoher Arbeitslosigkeit, sozialer Abhängigkeit und Kriminalität verkamen. Außerdem leben die Menschen in diesen Städten in völliger Isolierung von den sie umgebenden jüdischen Siedlungen. Um hier sesshaft zu werden, mussten die Beduinen unterschreiben, dass sie keinen Anspruch mehr auf ihr früher besessenes Land erheben. Für diejenigen, die sich nicht fügen und sogar Widerstand leisten, hält der zionistische Staat die bekannten Maßnahmen und Instrumente bereit: Verweigerung der infrastrukturellen Versorgung, strafrechtliche Verfolgung, forciertes Vorgehen der Steuerbehörden, Zwangsräumungen, Weideverbot für die Herden aus „Umweltschutzgründen“, Häuserzerstörungen und sogar Vergiftung der Felder. Auch das ist gegenwärtige israelische Realität. Der Westen schweigt dazu, aber erfreulich ist, dass immer mehr auch israelische Demonstranten an den Protestaktionen gegen diese Vertreibungspraktiken in der Negev-Wüste teilnehmen.

Viktoria Waltz’s Buch ist ein wichtiger Beitrag zur Geschichte des Nahost-Konflikts. Er zeigt auf, wie das zionistische Projekt nach einer bis ins Detail festgelegten Strategie Schritt für Schritt umgesetzt wurde – als ein Planungsprozess, der Raum für die Neusiedler schaffen sollte und noch soll. Dass damit und dabei für die Menschen, die schon seit Jahrhunderten dort lebten und leben, die permanente große Katastrophe hereinbrach, die immer noch andauert – die Welt hat es bisher wenig interessiert.

Arn Strohmeyer

Viktoria Waltz: Monopoly ohne Grenzen. Israel. Politische Raumplanung, Ethnozentrismus, Rassismus, online-Ausgabe