Journalisten in unbekannten Gewässern

Nahostpolitik

Von Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait, Juristin und Diplomatin a.D., 08.04.2020

Betr.: ARD-Fernsehsendungen vom 29.3.20: Presseclub: „Ausnahmezustand. Wie kommen wir durch die Krise?“ und “Anne Will”: “Der Corona-Ausnahmezustand – Wie geht es weiter in Deutschland?

Mangel an Zusammenhalt in der EU

Am Sonntag, 29.3. gab Papst Franziskus vor dem leeren Petersplatz im Vatikan der Welt seinen Segen. Seine Botschaft war klar und präzise: „Niemand kann diese Pandemie allein überwinden.” Die Betonung liegt auf der Einheit aller, auf der Solidarität aller Menschen untereinander, eine Solidarität, die eine der Grundlagen der Europäischen Verträge darstellt, die aber Europa leider überhaupt nicht zeigt. Der Mangel an Zusammenhalt ist jetzt in den Ländern der Europäischen Union so sichtbar wie nie zuvor.

EU ineffizient und erbärmlich unsolidarisch

Die EU-Institutionen erweisen sich als ineffizient und erbärmlich unsolidarisch hinsichtlich der schnell wachsenden Epidemie unter den EU-Mitgliedsstaaten. Das führte dazu, dass sich die italienische Regierung an ihre chinesischen Kollegen wenden musste, um Hilfe zu organisieren. Statt dass sich EU-Regierungen vorbereiten und genügend Ausrüstung einlagern, um gewappnet zu sein entsprechend dem Geschehen, das in China seit fast drei Monaten zu beobachten war, fehlt es an dem notwendigsten: Schutzmasken und Schutzkleidung für medizinisches Personal. Deutschland wollte die angebotene Hilfe aus China nicht annehmen, so dass sich dann auf kommunaler Ebene ein Landrat (Kreis Heinsberg, NRW) wegen fehlender Materialausstattung direkt an China wandte, ein wirklich beschämender Vorgang für die Berliner Regierung. Nicht nur in Deutschland herrschen ungeordnete Verhältnisse hinsichtlich des Umgangs mit der Epidemie, auch in anderen EU-Staaten. So mussten Hilfslieferungen per Luftfracht aus Russland an Italien umgeleitet werden, da Polen seinen Luftraum für das russische Flugzeug sperrte. In Tschechien beschlagnahmt der Zoll Hilfsgüter aus China für Italien und lässt sie im Land verteilen. Einfach ungeheuerlich!

China: Internationale Ordnung muss auf Frieden und Solidarität beruhen

Ungeachtet aller dieser schändlichen Vorkommnisse fördert und betont der Präsident Chinas, Xi Jinping, dass die internationale Ordnung auf Frieden und Solidarität beruhen muss, um Probleme und Konflikte gemeinsam zu lösen, wobei die wirtschaftliche Entwicklung von der Aufrechterhaltung dieser friedlichen internationalen Ordnung und guten Beziehungen zu anderen Staaten abhängig sei.

Die ARD-Fernsehsendung “Presseclub” vom 29.3. unter dem Titel „Ausnahmezustand. Wie kommen wir durch die Krise?“ konnte die Krise eigentlich nicht substanziell angehen. Vielmehr war der Versuch von Journalisten sichtbar, das Versagen der Europäischen Union zur solidarischen Bewältigung der Krise zu verbergen. Kein Arzt wurde im Presseclub erwähnt, keine Gesundheitsautorität, die eine zuverlässige Information geben könnte. Journalisten, die in unbekannten Gewässern navegieren und spekulieren dienen nicht dazu, die Lage seriös aufzuklären, um die Bevölkerung richtig zu orientieren. Der Presseclub hat sich auch nicht mit dem Kontext der Corona-Pandemie richtig befasst, nämlich mit der einsetzenden weltweiten Rezession, eine Weltwirtschaftskrise, viel größer und gravierender als sie es je gab. Genau diese sich entfaltende Weltwirtschaftskrise soll wohl hinter der Pandemie versteckt bleiben und einige Regierungsmaßnahmen sind eher auf sie zugeschnitten als auf die Bekämpfung der Pandemie, die überhaupt nicht ins Verhältnis mit früheren Pandemien gesetzt wird.

Im wohltuenden Gegensatz zum Presseclub stand am selben Sonntag 29.3.20 die ARD-Fernsehsendung “Anne Will” unter dem Titel “Der Corona-Ausnahmezustand – Wie geht es weiter in Deutschland?” Eine hervorragend vorbereitete Sendung. Ausgesucht kompetente Teilnehmer vermittelten ein breites durchdachtes Bild in allen Facetten zum Thema der aktuellen Pandemie. Medizinische, epidemiologische und wirtschaftliche Aspekte kamen gleichermaßen zu Wort. Es tat gut zu erkennen, dass es in Deutschland hervorragende Köpfe gibt, die in solchen Ausnahmesituationen besonders nötig sind. Glückwunsch auch an die hervorragende Leitung der Gesprächsrunde durch Anne Will.

Pandemie offenbart Unzulänglichkeiten der westlichen Regierungen und US-Verfall
Es ist klar, dass die Pandemie die Unzulänglichkeiten der westlichen Regierungen offenbart, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, wie die Vereinigten Staaten von Amerika am dramatischsten zeigen mit einer Wirtschaft am Rande des Zusammenbruchs. (Meldung 27.3.20) Die Vereinigten Staaten unterhalten weltweit über 800 Miltärstützpunkte, lassen vor der Küste des Iran und in der Nähe Chinas Flugzeugträger und Kriegsschiffe auffahren, sind aber nicht in der Lage, ihre Bevölkerung den angemessenen gesundheitlichen Schutz zu gewähren. Zudem erreicht der US-Militäretat astronomische Summen, um die höchst schädigende US-Außenpolitik zu finanzieren, die weltweit Verwüstung und Tod verursacht. Dass sich die USA mit ihrer Militärmacht grenzenlos entfaltet haben und dafür enorme Geldsummen verschwanden, ist völlig unbegründet, absurd im internationalen Kontext und steht in keinem Verhältnis zu den realen Bedüfnissen der nordamerikanischen Bevölkerung, wie die heutige sanitäre Notlage dramatisch offenlegt. Die Regierung Trump hat diese perverse mörderische tradierte Interventionspolitik geerbt, die auf die Zeit von Richard Nixon zurückgeht. Der Verfall der USA geschieht in der Tat seit dem Mord an Präsident John F. Kennedy und seines Bruders Robert. Damit haben sich die USA als krimineller Staat vor der ganzen Welt bloßgestellt. Beide Morde öffneten den Weg zur Amtseinführung von Richard Nixon. „Wer hilft uns, ist es Gott oder der Tod? Eigentlich bin ich nur über Leichen Präsident geworden“, sagte damals Richard Nixon.

Die sich abzeichnende Weltwirtschaftskrise für dieses Jahr und vermutlich darüber hinaus wird alles bisher da gewesene an Krisen in den Schatten stellen. Sie wurde schon lange vor dem Ausbruch der Corona-Epidemie von Fachleuten erwartet und gemeldet. Der Coronavirus hat sie nicht geschaffen, sondern nur beschleunigt. Die USA sind das Land mit den meisten Coronavirus-Fällen der Welt, eine höhere Fallzahl als in China und Italien. Die US-Regierung versucht verzweifelt, die Lage in den Staaten zu sanieren. Aber das schlimmste steht noch bevor.

Was Europa betrifft, werden neue Institutionen, die einer Krise gewachsen sind, an die Stelle der ineffizienten korrupten US-Vassallenorganisation EU und der US-NATO entstehen müssen. Die Menschen werden erkennen, welche politischen Kräfte abzuwählen sind und wer an die Macht kommen soll, um den erforderlichen Wechsel – nicht nur beim Gesundheitssystem – zu schaffen. Die aktuelle Krise legt offen, wie untauglich Regierungsverantwortungsträger und Institutionen sind, die keine Entscheidungspotential zeigen, um dieser große Herausforderung gewachsen zu sein.

Im Rahmen der allgemeinen neoliberalen Sparpolitik Krankenhäuser privatisiert, geschlossen oder deren Bettenzahl abgebaut zu haben, ohne ein weitreichendes und umfassendes Gesundheitssystems für alle Einwohner einzuführen, war ein schwerer Fehler, eine unverantwortliche Vernachlässigung, deren Folgen sich jetzt durch die Pandemie auf fatale Weise bemerkbar machen. Noch schlimmer, es gibt keine Initiative, sich zu korrigieren und diese Schritte jetzt rückgängig zu machen. Aber die Europäer, wie auch die Bewohner anderer Kontinente, müssen Vertrauen in ihre Regierung haben können. Politiker und Journalisten sollten umfassend sachlich informiert sein, um die Menschen zu instruieren, wie sie sich verhalten sollen, um die Infektion zu stoppen und einen eventuellen Krankheitsfall zu bewältigen.

Länder, die geeignete Maßnahmen nur zögerlich und spät ergriffen, leiden nun unter den Folgen einer schneller exponentiell zunehmenden Ansteckung als andernfalls. Je nach Vorgehen der Länder zur Bewältigung der Pandemie gibt es also zwei Gruppen: Erstens diejenigen, die schnell geeignete Maßnahmen ergriffen haben und zweitens jene, die sie vernachlässigt haben.

Pandemie in Lateinamerika

Das Londoner Wirtschaftsmagazin “Economist” hebt Chile und Perú als die Länder Lateinamerikas hervor, die die Pandemie am besten bewältigen. Jeden Tag informiert der chilenische Gesundheitsminister die Bevölkerung darüber, wie sich die Epidemie auf nationaler und regionaler Ebene entwickelt, wobei er darauf besteht, zu Hause zu bleiben, sich sozial zu isolieren, Menschenmassen und Versammlungen zu vermeiden. Diejenigen, die sich nicht daran halten – eine Minderheit – werden mit hohen Geldstrafen und sogar einer geringen Gefängnisstrafe belegt, weil sie die öffentliche Gesundheit gefährden. Die überwiegende Mehrheit der Chilenen respektiert und befürwortet die Beschränkungen und ist damit zufrieden, dass Polizeikräfte ihr Einhalten überwachen.

Vernünftige Vorsicht geboten

Panikmache ist natürlich falsch. Die Medien sind dafür verantwortlich, wenn sie über die aktuelle Notlage berichten, ohne sie im Vergleich mit den Grippenwellen der letzten Jahre abzuwägen, bei denen bis zu 30.000 in Deutschland gestorben sind, ohne dass öffentlich Gegenmaßnahmen getroffen wurden. Die aktuelle Coronavirus-Notlage wird für eine noch ungewisse Zeit andauern. Zu spekulieren wie lange hat keinen Sinn. Nach Überwindung der Pandemie werden wir mehr wissen. Inzwischen ist nur vernünftige Vorsicht geboten. Die Chilenen sind daran gewöhnt, Kalamitäten zu erleben, denn Chile ist ein Land, das immer wieder große destruktive Erdbeben durchhalten muss, was die Mentalität der Chilenen, ihr Verhalten gegenüber Katastrophen geformt hat: Sehr diszipliniert, strikt und ganz genau befolgen sie die regierungsamtlichen- und ärztlichen Anordnungen. Die Leute bleiben zuhause. Die Straßen sind fast leer. Täglich informiert der Gesundheitsminister auf allen wichtigen chilenischen Fernsehkanälen über die Entwicklung der Lage. Heute ist klar geworden, dass sich der Anstieg in Chile verlangsamt. In Lateinamerika ist Chile das Land mit den wenigsten Ansteckungsfällen und wenigen Todesfällen. Es ist natürlich auch ein Land mit verhältnismäßig wenigen Einwohnern (ca. 18 Millionen).

Chiles Regierung hinsichtlich der Pandemie

Es ist vorbildlich, wie die Regierung Chiles hinsichtlich der Pandemie kommuniziert: Jeden Morgen erklärt der Gesundheitsminister über das Fernsehen die Situation auf ganz sachlich pragmatisch-professionelle Weise, dabei auch Ärzte, die ihn beraten. Die Bevölkerung weiss, was zu tun ist, um die Ansteckung zu vermeiden, was verantwortliches Verhalten bedeutet, das von jedem und allen einzuhalten ist. Alle Maßnahmen sind auch für extreme Fälle getroffen. Kein Mensch wird in Chile ohne medizinische Versorgung auf der Strecke bleiben. Kliniken und Krankenhäuser sind dazu unterrichtet und ausgerüstet. So das Gesundheitsministerium Chiles.

Die einschränkenden Maßnahmen sind notwendig, damit sich die Infektion weniger schnell ausbreitet und womöglich eher zum Stillstand kommt als andernfalls.

Kriegswirtschaft und nach Krise anderer Lebensstil

Man spricht von einer Kriegswirtschaft, wobei nur das notwendige und keine Luxus-Güter zu kaufen seien, damit man isst, um nicht zu verhungern. Diese Anpassung an eine Kriegswirtschaft wird in den Industrieländern schwieriger als in den sogenannten Entwicklungsländern, wo das Lebensniveau sowieso vergleichsweise bescheiden ist. Es sind schwierige Zeiten, die das Zusammenstehen von uns allen fordert, um mit konstruktivem Geist die Pandemie zu bewältigen.

Aus dieser Krise wird sich ein ganz anderer Lebensstil entwickeln, wahrscheinlich zum Besseren jedes Landes.