Vernünftige Folge der US-Gesetzlosigkeit: Kein Platz für die NATO

Nahostpolitik

Von Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait, Juristin und Diplomatin a.D., 26.06.2015

Schon der Titel des Kommentars von Stefan Kornelius in der Süddeutschen Zeitung vom 25.6. ist daneben: „NATO – Zurück auf Los“. Wohin will denn das aggressivste Bündnis der Welt? Der NATO-Journalist lässt wieder einmal die aktuelle Wirklichkeit beiseite. Natürlich wurde die NATO mit dem Ende der Konfrontation der zwei Blöcke in Europa völlig überflüssig. Selbst die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen spielte öffentlich auf das Ende solcher Konfrontation an, um implizit die aggressive Kalte-Kriegs-Haltung ihres US-amerikanischen Kollegen als grundlos und ungerechtfertigt bloßzustellen, denn ohne konfrontative zwei Blöcke besteht keine Rechtfertigung für die US-NATO. Was soll eigentlich ein bis zu den Zähnen bewaffneter westlicher Block? Gerade darin besteht das Problem der NATO. Sie musste seit der Auflösung des Warschauer Paktes und nach der Auflösung der Sowjetunion 1991 immer neue Gegner maliziös erfinderisch konstruieren, um sich selbst zu legitimieren, denn der Kommunismus war verschwunden. Schon der Kommunismus war eigentlich niemals eine Gefahr, um einen solchen Wahnsinn wie die NATO zu rechtfertigen. Der ganze Kalte Krieg war eine verschwendete Zeit.

Verschwunden der Kommunismus, wurde der Terrorismus, dann der Islamismus als Feind erfunden. Hauptsache: Die NATO hat eine Aufgabe und der industrielle Militärkomplex behält seine lukrativen NATO-Aufträge. Nach der Wende 1991 sollte sie auf einmal außerhalb des Bündnisgebietes agieren dürfen und können. NATO-Bomben auf Belgrad 1999, dann Europas größter US-Militärstützpunkt im Kosovo, eine Provinz Serbiens, die als Folge von NATO-Aggression widerrechtlich von Serbien abgetrennt wurde. Stabilität? Sollen Leid, Tod und Flucht für Kornelius Stabilität bedeuten? Nein, zur Stabilität hat die NATO nichts beigetragen. Im Gegenteil. Sie führte mit ihrem aggressiven Verhalten zu extremer Spannung und Instabilität, die Terrorismus und Islamophobie als Legitimation für ihre Existenz sät. Niemals sind Drohung und militärische Stärke zum Schaffen von Stabilität von zivilen Gesellschaften geeignet. Das Dritte Reich zeigt in aller Härte und im Extrem, wohin das führt. Gewalt, militärische Drohung und gepanzerte Stärke schaffen tiefes Misstrauen und Furcht bei der Bevölkerung, also keine Basis für eine transparente Kooperation auf der Grundlage von gemeinsamen anerkannten Werten, die keine anderen sein sollten als die zivilisierten Werte, die in der Friedensordnung der Vereinten Nationen festgeschrieben sind.

Eine internationale Politik unter der Dominanz des Gewaltfaktors hat keine Zukunft. Um das einzusehen, fehlt dem NATO-Journalisten Stefan Kornelius Realismus, völkerrechtliches Bewusstsein und menschliche Sensibilität. Ihm misslingt deshalb, die Gefahr, die der heutigen internationalen Aktualität unter der Dominanz einer Hypermacht innewohnt, realistisch zu bewerten.

So schlimm diese Realität ist, so inakzeptabel ist sie für europäische Staatsmänner und Politiker mit Format, die von Europa und von der Welt etwas anderes wollen, nämlich die Herrschaft zivilisierter Normen, die das Miteinander unter Staaten und Nationen regieren soll, insbesondere wenn die mächtigste Nation der Welt an der Demontage ihrer eigenen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie leidet. Die realistische Wahrnehmung eines nicht nur überflüssigen, sondern auch wertlosen transatlantischen Bündnisses wächst in Europa und wird täglich nüchterner. Vom „Wert“ eines aggressiven und mörderischen Bündnisses zu schreiben, ist eine lancierte Dummheit, eine verlogene Ablenkung, um sich nicht mit dem Hintergrund einer zerfallenden EU und US-NATO zu befassen, weil diese Realität offenbar nicht zur politischen Linie der Redaktion passt. Eine Linie, die der Süddeutschen Zeitung den Ruf eingebracht hat, das Zentralorgan des Pentagon in Deutschland zu sein. Stefan Kornelius, der seine Karriere nicht aufs Spiel setzen will, hält sich treu daran. In seinen Artikeln kommt die NATO immer gut weg.

Für die Süddeutsche Zeitung darf deshalb wohl nicht darüber geschrieben werden, dass eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur für ganz Europa, Russland eingeschlossen, von Wladiwostok bis Lissabon auf der Tagesordnung steht, seit die Regierung von Union und FDP diese Idee vom Planungsstab im Auswärtigen Amt ausarbeiten ließ. Übrigens hat Außenminister Sergej Lawrow dieses unvollendete Projekt beleben lassen. Innerhalb der CDU hat das Projekt eines gemeinsamen europäischen Sicherheitssystems viele Anhänger; es wäre eine seriöse journalistische Aufgabe, darüber zu berichten und gleichzeitig zu forschen, wer in der Regierungskoalition dagegen opponiert und wieso. Hoch unverantwortlich ist es jedoch, die gemeinsame europäische Sicherheitsordnung weiter zu vernachlässigen.

US-Schoßhund-Politiker wie ein Walter Steinmeier, ein Martin Schulz und irgendwelche anderen Kleingeister aus dem SPD-Grünen-CDU-Lager erschrecken sich vielleicht wirklich vor der staatsmännischen Haltung einer europäischen Führung, die den einzigen heute bestehenden westlichen Hegemonialblock ohne Maske als Verfechter nackter Gewaltpolitik bloßstellt und darauf entsprechend reagiert. Wahrscheinlich dämmert auch der Verteidigungsministerin langsam, welche ungeheuerlichen Ausmaße diese völkerrechtswidrige Gewaltpolitik erreicht und welchen Schaden sie verursacht hat und selbstverständlich steigt in diesen Politikern Angst und Unsicherheit darüber hoch, dieser Monsterpolitik gefolgt zu sein. Aber solche Individuen gehören nicht zum politischen Entscheidungsfeld oder zum politischen Denken Europas, weil sie dafür weder gewissenhaft genug noch kompetent sind. Niemals zuvor, nicht einmal im Kalten Krieg hat die Welt erlebt, wie sich jetzt die NATO unverfroren an die Grenze Russland annähert, sozusagen bis vor die russische Haustür. Und ein NATO-Sekretär glaubt, Moskau müsse ganz ruhig bleiben, als ob die aggressive Drohgebärde ganz in Ordnung sei? Wo leben diese Funktionäre und ihre journalistischen Sprachrohre eigentlich? Aus ihrer Naivität wird offensichtlich pure Dummheit, eine Beleidigung der Intelligenz eines jeden Zuschauers und Lesers.

Rund zwei Drittel der Deutschen unterstützen laut Umfrage die Kritik Russlands an der US-Politik. Die deutsche Bevölkerung lässt sich also nicht so einfach von ihrem normalen Verstand abbringen.

Selbst in der USA, wo es einen gebildeten Journalismus zur Ehre einer differenzierenden politischen Intellektualität gibt, findet der Auftritt Russlands Verständnis. Die selbstsichere Art von unabhängigem Journalismus ist immer noch ein zuverlässiger Anker der amerikanischen Demokratie in den Vereinigten Staaten. Es war die New York Times, die die Reaktion des Kremls auf die Drohgebärde Washingtons veröffentlichte. Moskau wird Iskander Raketen im Gebiet Kaliningrad stationieren, sollten die USA Waffen in die Nähe der russischen Grenze bringen. Iskander Raketen sind keine interkontinentalen Raketen. Die europäischen Länder, die Verantwortung für die Gefährdung Russlands tragen, sind sicherlich von dem Kreml im Visier. Nicht die USA, auch wenn sie die vorbedachten Sponsoren solcher feindseligen Akte gegen Russland auf europäischen Boden sind.

Die Reaktion des Kremls und ihr Ton sind absolut berechtigt. Es ist eine schlagfertige Anklage und Reaktion auf eine aggressive Außenpolitik der USA, die seit langem in der Gesetzlosigkeit gelandet ist und zahlreiche Krisen überall in der Welt hervorruft und verlängert, wie wir mit ihren schrecklichen humanitären Folgen alle täglich sehen können. Wladimir Putin ist eine hervorragende europäische Persönlichkeit, ein Gewinn für Europa, eine brillante und zugleich starke politische Persönlichkeit. Seine Denkanstöße verdienen volle Unterstützung, weil er sich zutreffend mutig und offen als einzige europäische Persönlichkeit gegen diese ungeheuerliche unzulässige Außenpolitik der USA und ihrer Vasallen energisch und entschlossen wehrt, eine US-Politik, die schon lange außer Kontrolle geraten ist und generelle Unsicherheit schafft.

Wenn sich europäische Regierungen noch einmal an der Seite der Irrationalität positionieren, ist diese Verirrung nicht nur ein Verrat an der europäischen Sache, sondern eine beschämende Feigheit, die sich in Aggression verwandelt, wenn sie sich mit der Brutalität der NATO identifiziert, wie es vor kurzem nach der deutschen Einheit schon geschehen ist, gegen alle Abkommen und gegen alle im guten Glauben gehaltenen Erwartungen. Aber dieses Gesicht Europas wollen die Menschen in Europa nicht. Es ist längst an der Zeit, ein anderes Europa zu schaffen, das sich für den Rest der Welt öffnet, ohne Furcht, ohne Schrecken zu erwecken. Der alte wilhelminische Wahn darf keineswegs in der NATO wiedererstehen. Gerade diesen verhängnisvolle Geist der Vergangenheit spiegelt leider der NATO-Journalist Kornelius wider.

Europa sollte seinem eigenen Takt und seine eigenen Interessen folgen. Der wiederholte Rechtsbruch der USA mit ihren aufgedeckten Spionageaktivitäten sowohl in Deutschland als auch in Frankreich muss Konsequenzen haben. Es handelt sich um ein Wiederholungstäter, der nicht die Absicht hat, seine Rechtsbrüche einzustellen. Das gilt noch viel stärker für den andauernden Verstoß gegen das Völkerrecht, indem Atomwaffen in Europa vorrätig gehalten werden und die NATO weiterhin droht, den atomaren Erstschlag ausführen zu können. Seit dem einstimmigen Beschluss des Internationalen Gerichtshof in Den Haag am 8.Juli 1986 ist die NATO wegen ihrer nuklearen Bedrohungs- Strategie als illegal anzusehen. Die NATO-Strategie, die auf den Besitz von Atomwaffen und ihrer Androhung besteht, wurde einstimmig und eindeutig von dem Gerichtshof in Den Haag als illegal, völkerrechtswidrig erklärt und gleichzeitig wurde die legale Pflicht aller Staaten für eine allgemeine und totale nukleare Abrüstung angemahnt. Aufgrund dessen erklärte ein deutscher Richter, Amtsrichter Rainer Wolf aus Stuttgart, 8.12.1996, dass die Lagerung von nuklearen Waffen in Europa der UN-Gerichtsresolution vom 8.Juli 1996 widerspricht. Seitdem ist die Verlässlichkeit der Außenpolitik Europas infrage gestellt.

Europas NATO-Militärmanöver und Operationen gefährden den Frieden, weil sie einen Konflikt eskalieren lassen und begründetes Misstrauen säen. Die NATO erweist sich als ein aggressiver, grausamer Adler, wie ihre zahlreichen, wiederholten unmenschlichen Angriffe überall bestätigen. So ein auf Aggression und Vernichtung ausgerichteter fremd befehligter Militärapparat braucht Europa bestimmt nicht. Selbst das US-Establishment gibt zu, dass die USA keinen Rivalen, keinen Gegner zu bekämpfen haben, weil es diesen nicht gibt, sondern es darum geht, ihre imperiale Herrschaft zu erhalten und auszubreiten. Damit dürfen Deutschland und Europa nicht kollaborieren. Kein weiterer europäischer Cent ist das wert. Und wie die offiziellen Stellungnahmen aus den europäischen Regierungen zeigen, wollen sie auch keine weitere Verschwendung in einer sinnlosen destruktiven Aufrüstung. Zu Recht. Alle europäischen Länder, nicht nur Griechenland, müssen ihre Militär-Ausgaben senken. Das müssen die Medien in aller Klarheit begreifen und reflektieren. Aus dem einstimmigen Beschluss von den Haag (8.7.1986) müssen Taten folgen. Politische Feigheit und Unentschlossenheit zeigen wie tief verkommen Europa eigentlich ist. Aus diesem feigen, unwürdigen Europa, das sich selbst verrät und vergisst, wird überhaupt nichts. Ein Handicap gegen jede verantwortliche Außenpolitik, die primär die Sicherheit des Kontinentes garantieren sollte. Mut und nüchterner Realismus sind angebracht.

Das gilt nicht nur gegenüber der US-geführten NATO sondern auch hinsichtlich der US-Spionageaktivitäten, die sich gegen Europa richten. Die Tatsache, dass US-Regierungen die deutsche, die französische, die europäische Rechtsordnung nicht respektieren, versetzt Berlin, Paris, ja jede Regierung in Europa in die juristisch gut begründete Lage, alle Vertragsverpflichtungen mit den USA auf seinem Territorium zu überprüfen und gegebenenfalls mit sofortiger Wirkung aufzukündigen. Ein Anliegen, das für Deutschland selbstverständlich die deutsche Regierung zu entscheiden und im Bundestag zu erklären hat. Analoges gilt für die Pariser Regierung, die auch von den US-Interventen getroffen ist.

Irrtümer erkennen und korrigieren erfordert Offenheit, Bescheidenheit im Geist und viel Mut, nicht nur für Redaktionen, sondern an erster Stelle für die deutschen und EU-Machteliten. Solange diese Verarbeitung der jüngsten Vergangenheit europäischer Geschichte nicht stattfindet, wird Europa ohne angemessenes Gewicht in der jetzt notwendigen internationalen Debatte bleiben, um die Wiederherstellung der Vernunft und des Rechts in der internationalen Politik zu erlangen. Diese Auseinandersetzung ist lebenswichtig: Substantielle Differenzen zwischen den Machthabern sind weder zu leugnen noch zu schonen. Wichtig ist, die Zivilisation nicht weiter zu demontieren, um eine humane Gegenwart und eine humane Zukunft, eine gerechte und demokratische Weltordnung zu ermöglichen. Erforderlich ist eine mutige Debatte zwischen gestandenen Führungspersönlichkeiten in Regierungen, Parlamenten und in Redaktionen.

Die dominierenden Berliner Kreise, die im alten für sie bequemen Denken verankert bleiben und weiterhin den USA die Patronage über Europa als Protektorat überlassen wollen, müssen endlich aus dem außenpolitischen Management verschwinden. Genauso wie im Weißen Haus müssen auch in Berlin Beton-Köpfe rollen. Dafür gibt es schon Kräfte, die sich endlich durchzusetzen haben. Auch die Medien sind an der Reihe, zur Vernunft zu kommen. Genug mit der Unbildung, der bloßen Oberflächlichkeit und intellektuellen Rückständigkeit, die wir täglich in deutschen Medien ertragen müssen. Mentale Verstrickung paralysiert den normalen Verstand. Gegenteilige Ansichten oder unterschiedliche Regierungslinien sind kein Hindernis, um nach vorne zu blicken. Es geht nicht darum, die eigene Sichtweise dem anderen aufzuzwingen. Es geht darum, im Dialog aller Europäer eine gemeinsame Sicherheitsordnung in Europa aufzubauen.

Die USA und ihre NATO haben dort keinen Platz.