Der sehr einseitige Blick des Filmemachers Claude Lanzmann auf den Palästina-Konflikt

Nahostpolitik

Von Arn Strohmeyer, 11.08.2016
Wenn zweit dasselbe tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Diese alte Weisheitssentenz fällt einem ein, wenn man liest, dass der französisch-jüdische Filmemacher Claude Lanzmann sich beschwert hat, dass im Haus-Telefonbuch des Berliner Luxus-Hotels Kempinski die Vorwahl des Staates Israel nicht vermerkt sei – und zwar auf Betrieben arabischer Hotelgäste. Das ist in der Tat peinlich und unentschuldbar, noch dazu da der Begründer des traditionsreichen Hauses Jude war. Dennoch klingt die Kritik merkwürdig aufgesetzt, zu einem Zeitpunkt, wo bekannte Atlanten und selbst Google Map Palästina auf ihren Nahost-Karten völlig weglassen. Da gibt es nur noch den Staat Israel. Denn das bedeutet doch, dass hier ein ganzes Volk und sein Land von der Weltbühne einfach verschwinden, für nicht mehr existent erklärt werden. (Man darf doch daran erinnern, dass über 100 Staaten das Palästina der Autonomiebehörde anerkannt haben.) Hat Claude Lanzmann sich auch zu diesem Streichen Palästinas von der Landkarte kritisch zu Wort gemeldet? Nein, hat er natürlich nicht, interessiert ihn auch gar nicht.
Auf den einseitigen Blick dieses prominenten Filmemachers hat Moshe Zuckermann schon 2010 in seinem Buch „‘Antisemit!‘ Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument“ hingewiesen. Da moniert Zuckermann, dass Lanzmann in seinem Film „Warum Israel“ (dem ersten Teil der Trilogie „Shoah“ und „Tsahal“) im Zusammenhang mit Israel und seiner Entstehung die Palästinenser fast völlig ignoriert. Ihre Existenz, ihre Vertreibung und Unterdrückung bis heute gab und gibt es für Lanzmann nicht. Den Film „Tsahal“ über die israelische Armee bezeichnet Zuckermann als „miserabel“. Er gebe – mit viel Kitsch, Pathos und Getöne – die Staatsideologie Israels wieder: „Das aus der jüdischen Shoa hervorgegangene zionistische Israel wird mit eigener Militärmacht dafür sorgen, dass die kollektive Existenz von Juden nie wieder bedroht werde.“ Tsahal ist nach diesem Verständnis also eine reine Verteidigungsarmee.
Dagegen spricht nicht nur die Geschichte Israels mit seinen vielen Kriegen, die dieser Staat nicht nur geführt, sondern in expansionistischer Absicht auch begonnen hat. Zuckermann merkt denn auch an, „dass das israelische Militär in den letzten Jahrzehnten nicht allzu viel mit Verteidigung, umso mehr dafür mit der brutalen Besatzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens beschäftigt war, mit der gewaltsamen Unterdrückung jener also, von denen der französische Jude Lanzmann offenbar nichts wissen möchte.“ Zuckermann wirft Lanzmann vor, die alltägliche Behinderungs- und Repressionspraxis, der sich die Palästinenser in den besetzten Gebieten seit Jahrzehnten ausgesetzt sähen, ideologisch einfach wegretuschiert zu haben.
Zugegeben, das Hotel Kempinski hat einen Lapsus begangen, der einem international angesehenen Haus nicht passieren darf. Aber wenn Claude Lanzmann sich hier zum strengen Richter aufschwingt, ist das doch eher befremdend, weil er die ganze andere Seite der nahöstlichen Realität eben ausblendet, nicht wahrhaben will.