DIG ruft zum Verweigern von Versammlungsräumen für Kritiker der israelischen Politik auf

Nahostpolitik

Eine Broschüre der Organisation erhebt absurde Vorwürfe gegen BDS-Menschenrechtsaktivisten

Von Arn Strohmeyer, 12.03.2017

Der Bundesvorstand der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) hat eine Broschüre mit dem Titel „Boykottbewegungen gegen Israel. Widerspruch mit Informationen und Argumenten“ (Berlin 2016) herausgegeben. Darin ruft der Autor Sebastian Mohr offen zum Verweigern von Räumen für Veranstaltungen von Kritikern der israelischen Politik auf. Die Durchschlagskraft der Israel-Boykottkampagne (BDS) in Deutschland könne durch gezielte Proteste, die Verweigerung von öffentlichen Versammlungsräumen und durch genaue Beobachtung der Szene weiterhin „eingehegt“ werden, heißt es auf Seite 17 der Broschüre. Das ist ein indirekter Aufruf zu einer klaren Verletzung des Grundgesetzes, denn dort sind die Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit sowie die Versammlungsfreiheit festgeschrieben. Hier maßt sich eine Gruppe an, diese Rechte für sich allein in Anspruch zu nehmen.

Mohr bestätigt damit eine Praxis, die in verschiedenen deutschen Städten und besonders in Bremen längst Usus ist. Denn seit Jahren versuchen die DIG , die Jüdische Gemeinde und die Antideutschen mit allen Mitteln zu erreichen, dass die Gruppen, die der israelischen Politik kritisch gegenüberstehen (etwa der Arbeitskreis Nahost und die die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft), keine Räume für ihre Veranstaltungen bekommen. Das immer gleiche Argument, das dann bei den Verantwortlichen für die Raumvergabe vorgebracht wird, ist, dass es sich hier um „antisemitische“ Veranstaltungen handele. Im Hintergrund zieht dann auch der dubiose Journalist Benjamin Weinthal seine Fäden, der erst mit Ultimaten und dann mit Artikeln in der „Jerusalem Post“ droht.

Was Antisemitismus genau ist, also eine klare und eindeutige Definition, wird in der Broschüre nicht gegeben. Das schafft natürlich für die Israel-Verteidiger einen breiten Raum, alles und jedes, was ihnen nicht passt, als „antisemitisch“ zu diffamieren, wohl wissend, wie ruf-, ja existenzschädigend dieser Vorwurf ist. Ganz besonders nehmen die Autoren der Broschüre die BDS-Aktivisten ins Visier – also die Bewegung für „Boykott, De-Investment und Sanktionen“. Was dieser Bewegung, die mit politischem Druck von außen und den drei Blockade-Maßnahmen ein Ende der israelischen Besatzung und die politische Selbstbestimmung der Palästinenser erreichen will, weil sie wegen Israels Blockadehaltung an einen Erfolg von Friedensverhandlungen nicht mehr glaubt, von den Autoren unterstellt wird, ist mehr als abenteuerlich.

Die BDS-Bewegung wolle – so heißt es da immer wieder –dem Staat Israel die Existenzberechtigung entziehen, ja ihn zerstören. Natürlich würden die BDS-Aktivisten eng mit palästinensischen „Terrorgruppen“ zusammen arbeiten (man wolle den Gegner schließlich auch mit militärischen Mitteln zu Fall bringen), und sie kooperierten eng mit Neo-Nazis. Die BDS-Kampagne beruhe auf „Desinformation, Hetze und Lüge“. Auf das Völkerrecht und die Menschenrechte für die Palästinenser beriefen sich die BDS-Anhänger nur missbräuchlich, in Wirklichkeit ginge es ihnen nur um die Dämonisierung und Delegitimierung Israels. Die Sprache der Autoren verrät an vielen Stellen, wie sehr sie auf dem Kriegsfuß mit der historischen und politischen Realität stehen. So spricht der Autor Alex Feuerherdt von der „sogenannten“ Nakba, also der palästinensischen Katastrophe 1948, als die Zionisten die Hälfte des palästinensischen Volkes (etwa 750 000 Menschen) vertrieben haben – ein Vorgang, der heute von sehr vielen israelischen Historikern (besonders den jüngeren) gar nicht mehr bestritten ist, denn ohne die Nakba gäbe es den jüdischen Staat nicht, wird argumentiert.

Auch der Nahost-Konflikt – also die bis heute andauernde Auseinandersetzung zwischen Israel und den Palästinensern – wird von Feuerherdt als ein „sogenannter“ bezeichnet, was ja wohl heißt, dass es ihn eigentlich gar nicht gibt und er von bösen „Antisemiten“ (wie eben BDS-Aktivisten) nur hochgepuscht wird. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UNO) verhält sich nach Ansicht der Autoren offenbar auch „antisemitisch“, denn seine Forderung an Israel, das Völkerrecht und die Menschenrechte einzuhalten, bezeichnet Feuerherdt als „notorisch“ und „obsessiv“. Und natürlich werden die Boykottforderungen der BDS-Bewegung gegenüber Israel immer wieder mit der Nazi-Parole „Kauft nicht bei Juden!“ in Verbindung gebracht. (Dass diese Parole von einem Terrorstaat ausgegeben wurde und die Forderungen der BDS-Bewegung mitten aus der westlichen Zivilgesellschaft heraus kommen und auch in Israel selbst viele Anhänger haben, – diesen simplen Unterschied zu erkennen, sind die Autoren außerstande.)

Diese Beschuldigungen sind bei Kenntnis der Zusammenhänge so realitätsfern und absurd, dass man eigentlich gar nicht auf sie eingehen möchte. Der israelische Sozialwissenschaftler und Philosoph Moshe Zuckermann betont an dieser Stelle immer wieder, dass solche Vorwürfe mit der Wirklichkeit des Nahen Ostens so gut wie nichts zu tun haben, sondern nur deutsche Befindlichkeiten widergeben – sehr irrationale, wie man feststellen muss. Dennoch seien hier ein paar Anmerkungen zu diesem Wust aus Verdrehung der Tatsachen, falschen Behauptungen und dreisten Unterstellungen gemacht.

Die Nicht-Wahrnehmung oder falsche Wahrnehmung der nahöstlichen und deutschen Realität in Bezug auf Israel und die Palästinenser rührt vor allem daher, dass die Autoren auf Grund ihrer ideologischen Voreingenommenheit nicht zwischen Judentum, Zionismus und Israel (und damit auch zwischen Antisemitismus, Antizionismus und Kritik an der israelischen Politik) unterscheiden können. Weil sie diese Begriffe miteinander vermengen und in einen Topf werfen, ist „Antisemitismus“ für sie ganz einfach alles, was Israels Interessen widerspricht. Und „Antisemit“ ist jeder, der sich nicht vorbehaltlos zu Israels Politik bekennt. Aus dieser Maxime folgt dann alles Andere: etwa die totale Weigerung, die gewaltsame und äußerst brutale Geschichte der zionistischen Inbesitznahme Palästinas und die Fortsetzung dieser Politik bis heute überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.

Die wesentlichen Begriffe, unter denen der Staat Israel und seine Geschichte heute in der internationalen Wissenschaft untersucht werden – Zionismus, Siedlerkolonialismus und Apartheid – kennen die Autoren nicht, wollen sie nicht kennen und meiden sie wie der Teufel das Weihwasser. Das Resultat ist eine merkwürdige ahistorische und apolitische Betrachtungsweise der zionistischen und israelischen Realität – gut zu sehen an dem Broschüre-Aufsatz von Ulrike Becker, einer studierten Historikerin. Da gibt es nur die „bösen“ Araber, die die jüdischen Einwanderer von Anfang ihrer Besiedlung Palästinas an (etwa ab 1880) mit Boykotten und Gewalt überzogen hätten. Die zionistische Seite dieser Geschichte – also die Absicht, mitten in diesem arabischen Volk einen jüdischen Nationalstaat zu gründen, die später auch mit Gewalt umgesetzt wurde, was also nur auf Kosten der Palästinenser geschehen konnte, erwähnt die Autorin mit keinem Wort. Und dies, obwohl es an Zeugnissen für die Absicht der Zionisten wahrlich nicht mangelt, schon der Begründer des Zionismus, Theodor Herzl, und später viele andere Zionisten hatten die Vertreibung der Palästinenser gefordert.

Auch dass das politische Mittel des Boykotts den Zionisten durchaus geläufig war, erwähnt Ulrike Becker nicht. Denn schon früh hatte die Gemeinschaft der eingewanderten Juden in Palästina (der Jischuw) eine Totalblockade gegen die Palästinenser verhängt. Mit der Maßnahme der „jüdischen Arbeit“ wollten die Zionisten den Aufbau eines rein jüdischen Wirtschaftskreislaufs aufbauen, was bedeutete: keine jüdische Firma durfte Araber einstellen, und jüdische Geschäfte durften auch keine arabischen Waren vertreiben. (Eine Fußnote ist an dieser Stelle angebracht. Der zionistische Politiker Simon Peres, einer der Gründungsväter Israels, antwortet in seinen Lebenserinnerungen auf die Frage, wie man in der vorstaatlichen Zeit mit den Palästinensern umgegangen sei, so: „Wir haben sie gar nicht gesehen. Es gab sie für uns nicht.“ Kein Wunder, dass die Zionisten das Land, in das sie kamen, als „leer“ bezeichneten.)

So erklärt sich auch die seltsame Methode der Broschüre-Autoren – besonders der Historikerin Ulrike Becker – , Geschichte zu interpretieren. Normalerweise betrachten Historiker Geschichte immer als Zusammenspiel von Aktion und Reaktion, wobei die wesentlichen Faktoren des Zusammenspiels politischer, ökonomischer, kultureller oder religiöser Art sein können, natürlich können sich die vier Faktoren auch vermengen. Der britische Geschichtsphilosoph Arnold Toynbee nannte diese Beziehung von immer mehreren Faktoren, die miteinander agieren und reagieren, den Zusammenhang von „challenge and response“ – also Herausforderung und Antwort. Für Ulrike Becker gibt es aber nur die eine Seite – die arabisch-palästinensische. Denn die Juden in Palästina agieren offenbar gar nicht, sie sind moralisch nur gut und verharren im Zustand der politischen und historischen Unschuld. Die Araber beziehungsweise die Palästinenser begegnen ihnen dagegen sofort nach ihrem Auftauchen in Palästina völlig grundlos mit äußerster Aggressivität, eben mit ihrem abgrundtiefen „Antisemitismus“. Dass es eine Judophobie im arabischen Raum wie in Europa nie gegeben hat, und der Antisemitismus erst durch die furchtbaren Folgen der zionistischen Besiedlung Palästinas um sich griff, verschweigen die Autoren natürlich auch.

Allein der arabische „Antisemitismus“ ist also schuld daran, dass es heute noch einen „sogenannten“ Konflikt zwischen Juden und Palästinensern gibt. Selbst der völkerrechtlich illegale Siedlungsbau auf palästinensischem Land, der jeden Tag die Medien beschäftigt, ist den Autoren keine Erwähnung wert. Es gibt für sie einfach keine israelischen Verstöße gegen Menschenrechte und Völkerrecht, das sind nur erfundene Behauptungen der Gegner der israelischen Politik. Da sie die Unterdrückung eines ganzen Volkes (im Machtbereich der Israelis – im Westjordanland und dem Gazastreifen – leben über vier Millionen Menschen ohne bürgerliche und politische Rechte und auch die Palästinenser in Israel unterliegen vielerlei Diskriminierungen) nicht sehen wollen oder können, fehlt ihnen auch jede Empathie für die Leiden dieses Volkes. Die Palästinenser sind offenbar für sie nur ein Störfaktor für die Realität und Entfaltung jüdischen Lebens in Israel, eigene Interessen dürfen diese Menschen nicht äußern, dann sind sie „Terroristen“ und „Antisemiten“.

Über die Motive einer so inhumanen Sicht kann man nur spekulieren: vermutlich nicht aufgearbeitete Schuldgefühle, die zu einem völlig einseitigen Philosemitismus führen. Dass eine solche Einstellung dazu führt, auch kritische Juden oder jüdische Gruppen (wie in der Broschüre die Gruppe „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden im Nahen Osten“) unter ihren Antisemitismus-Vorwurf zu stellen, kann man nur als „infam“ bezeichnen. Denn wie können Deutsche sich anmaßen, zwischen „guten“ und „bösen“ Juden zu unterscheiden. (Man möchte hier aus Scham das Wort „selektieren“ nicht benutzen.)

Auch Bremen bekommt in der Broschüre sein Fett ab. Die Stadt wird von diesen Kreisen stets als „Hochburg israelfeindlicher Boykottaktionen“ bezeichnet. Hier hat Autor Sebastian Mohr aber schlecht recherchiert. Er schreibt, nachdem er einen Aufruf von Bürgermeister Carsten Sieling gegen Antisemitismus und Fremdenhass zitiert hat: „Dennoch warben das Bremer Friedensforum und seine Sympathisanten bis mindestens in die zweite Jahreshälfte 2016 in der von der Stadt subventionierten Villa Ichon für Israel-Boykotte.“

Diese Behauptung ist doppelt falsch. Der Autor dieses Artikels gehört selbst dem Friedensforum an und kann deshalb sagen: Diese pazifistische Gruppe hat nie für Israel-Boykotte in der Villa Ichon geworben. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf dem Thema Friedenssicherung, das heißt die Gruppe engagiert sich gegen jede Form von Militarismus, Waffenproduktion und –export. Der Nahe Osten und Israel spielen – wenn überhaupt – nur am Rande eine Rolle. Auf der Webseite der Villa Ichon ist zudem zu lesen: „Herzstück der Villa Ichon ist der Verein Freunde und Förderer der Villa Ichon in Bremen e.V., der die Betreuung des Hauses und Grundstücks übernimmt und dessen Arbeit nicht durch staatliche Gelder, sondern nur durch Spenden finanziert wird.“

Man wünscht der DIG-Broschüre allergrößte Verbreitung, damit möglichst viele Menschen erfahren, auf welch absurdem Argumentationsniveau sich diese Organisation bewegt.