Palestine Update Nr. 103 – Israel boykottiert sich selbst

Nahostpolitik

Meinung von Ranjan Solomon, Redakteur

Es war nicht eigentlich überraschend, dass Israel sich entschied, die Einreise für 20 führende Organisationen zu verbieten, die sich für BDS als Werkzeug entschieden, um Gerechtigkeit für die Palästinenser zu fordern. Dieser Aufruf folgt einer Knesset-Verordnung, der schon im vergangenen Jahr zugestimmt worden war, und mit der für „ausländische Staatsbürger, die nach wirtschaftlichen, kulturellen und akademischen Boykotts sowohl für Israel wie auch für die Siedlungen riefen“ ein Einreiseverbot beschlossen wurde.

Es ist wie bei vielen Dingen, die die Besatzung tut – ausländisch und antidemokratisch. Es sind dies bizarre Entscheidungen, die die Regierungen von Israel treffen, die einem verachtenswertem System folgen. Israel mag glauben, dass es derzeit die BDS-Bewegung daran hindern kann, Erfolg zu haben. Das ist nicht gescheit, denn, je mehr sie versuchen, BDS zu schwächen, desto mehr wächst und verbreitet sich die Bewegung.

Die Bewegung wird einige drastische humanitäre Folgen haben. Eine prominente jüdische Führerin in der BDS-Antibesetzungs-Arbeit erfährt, dass ihr die Einreise nach Israel nicht erlaubt wird. Sie führt etwas verzagt an: „Obwohl meine Großeltern hier begraben sind, dass meine älter werdenden Schwiegereltern noch hier leben, und ich sehr enge freundschaftliche Beziehungen habe, schließt mich meine Unterstützung für die BDS-Bewegung für die Rechte Palästinas von Israel aus“. *) siehe „Das Grab meiner Großeltern“

BDS ist eine weit verbreitete gewaltlose Bewegung für Gerechtigkeit und ist nach dem  Aufruf der palästinensischen Zivilgesellschaft entstanden, eine globale Bewegung zu schaffen, um Druck auf  Israel auszuüben, die Besetzung zu beenden, volle Gleichberechtigung für palästinensische Mitbürger Israels zu bieten und palästinensischen Flüchtlingen das Rückkehrrecht einzuräumen. Sie fordert wirtschaftliches Divestment (keine Zusammenarbeit mit israelischen Firmen), den Boykott israelischer Güter und Dienste, Druck auf taktische Räume für Kultur und Akademie. Mit anderen Worten, sie versucht, Israel wegen seiner eigenen Aktionen, die Palästinenser bis zur Unmenschlichkeit erniedrigen, ins Abseits zu drängen.

Schreckensschauer jagen Israel über den Rücken, wenn nur „BDS“ zu hören ist. Aus der Erfahrung von der südafrikanischen Anti-Apartheid-Bewegung vor mehr als 25 Jahren ist es klar, dass der zivile Ungehorsam, verstärkt durch eine globale Kampagne zur Ausschließung Israels aus der internationalen Gemeinschaft den status quo der Enteignung der Palästinenser, den Israel zur Hauptstütze seiner Existenz gemacht hat, verändern wird.

In ihrem Wahnsinn deportierte Israel im vergangenen Jahr sogar die Vize-Generalsekretärin des WCC, Dr. Isabel Apawo Phiri, als sie versuchte, zu einer Konferenz nach Israel einzureisen. Die Ironie an dieser Ausweisung ist, dass der Weltkirchenrat selbst gegen BDS ist und seinen Vorzug eher einer Politik des sanften Zionismus zuwendet.

Mit dieser Geste hat Israel seine faschistische Neigung gezeigt und über seine behauptete demokratische Glaubwürdigkeit enttäuscht. Wenn sich bis jetzt Israel gegenüber bestimmten Kategorien von Leuten abgeschlossen hat, hauptsächlich aus rassistischen Gründen, hat es damit seine Politik erklärt, die argumentiert, dass es keine Opposition zu Israels politischen Auswüchsen geben kann. „Wenn du nicht denkst wie wir, bist du gegen uns und daher unwillkommen.“ Damit ist wohl die demokratische Tradition begraben.

Das ist keine für sich allein stehende Entscheidung.

Es ist klar, dass Israel eine beträchtliche Zeit aufgewendet hat, um eine Gesetzgebung und Praktiken einzuführen, die es ermöglichen, Palästinenser noch weiter als gesetzlich annehmbar zu marginalisieren. Als Nachspiel zu Donald Trumps Entscheidung, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, begibt sich das israelische Parlament auf den Weg, eine Gesetzgebung zu finden, nach der das Gesetz Israels auf die Siedlungen in der Westbank angepasst wird. Das wird jetzt Israelis ermöglichen, palästinensisches Land zu annektieren. Klar: Israel begibt sich auf einen Weg zu ethnischer Säuberung von Jerusalem, weil sein eigenes absurdes Regime vorgibt, dass Israel kein Land an die Palästinenser zurückzugeben braucht. Mit einer überwiegenden Mehrheit in der Knesset, die souveräne Kontrolle über Land in Jerusalem zu übernehmen, ist die Umkehr irgendeiner Entscheidung weit weg. Mit einer einfachen Mehrheit kann Israel die Grenzen von Jerusalem einseitig ändern, gerade so lang wie bestimmte Areale unter israelischer Kontrolle sind. Aufgrund von Israels unangebrachtem Sinn für Logik hat Israel die Lizenz, über palästinensisches Land zu regieren und seine apartheidartige Strangulierung zu legalisieren. Das ist jetzt neu, und solche Praktiken wurden seit 1967 durchgeführt. Der Unterschied jetzt ist, dass Israels Verachtung für den Willen des Völkerrechtes unverschämter ist und dass unter dem Schutz der Administration Trump seine politischen Führer – die christlichen Zionisten – diesem ungestraft zustimmen…

Worüber sich die Welt jetzt sicher sein muss: USA kann als Vermittler nicht getraut werden. USA hat Vorurteile gegen die Forderungen der Palästinenser und diese rühren her von der schraubstockartigen Umarmung Trumps durch die jüdischen Lobbys, besonders durch die christlichen Zionisten. Nicht Trump regiert die USA. Es sind die christlichen Zionisten mit Trump als Vordermann. Er ist die Handpuppe, die von einer rassistischen Kombination von hinten in jede ungute Richtung manövriert werden kann, die ihrerseits die rassistisch-kolonialistische Gruppe in Israel unterstützt.

Unmoralische Politik sät Samen für Chaos. Trump drohte, alle Hilfe für Palästina aufzukündigen als seine Reaktion auf die Proteste gegen seine Jerusalem-Ankündigung. Aber da gibt es sogar für ihn Gründe für Unsicherheit: Hat sich das Imperium auch verrechnet?  Was, wenn Palästina die Osloer Abkommen aufhebt? Das würde Israel in Schwierigkeiten bringen, die ärger sind als jene für die Palästinenser. Es würde den Einfluss der USA auf die politischen Entscheidungen der Palästinenser beschneiden. Und dann könnten sie vom Verhandlungstisch entfernt werden. Das mag zu weit gehen als Projektion. Aber die Dinge sind aus dem Ruder gelaufen. Außerdem: USAID beträgt nur mehr Krumen, und die Palästinenser könnten mehr Erleichterung als Schmerz empfinden, wenn die Vereinigten Staaten draußen sind. Die kleine US-Hilfe, die nach Palästina gegangen ist, um die PA in der Westbank zu unterstützen, wurde hauptsächlich gesandt mit dem ausdrücklichen Zweck, die Hamas zu unterminieren. Es hat sich herausgestellt, dass sie nur Opium für die Besetzung war und niemals mit der Zielsetzung, diese zu beenden.

Nach den Jubelfeiern über die Beschneidung der Zuwendungen der USA an PA dämmerte die Realität in Israel auf. Die Palästinenser waren nicht eingeschüchtert worden, zum Verhandlungstisch zurückzukehren. Die PA erkannte, was der politische Ausfall eines solchen Fehlers bedeuten würde. Das israelische Außenministerium kalkuliert rückwirkend die politischen Risken der Entscheidung der USA für Israel, die Subventionen für Palästina zu beschneiden. Trump steht bereits unter Druck, sich zurückzuziehen. Die Ängste sind verschiedenartig. Was, fragt sich Israel, wenn es in Gaza daraus eine humanitäre Kalamität ergibt? Wird das zu einem Ausbruch von Aggression führen? Was, wenn die Vereinbarung der Zusammenarbeit von Israel und der Palästinensischen Autorität auf dem Sicherheitssektor abgeschafft wird? Israel kann wohl nicht die Palästinenser in Armut stürzen und erwarten, dass sich der Widerstand in dünne Luft auflöst. Eher würde er sich verfestigen. In seiner Arroganz könnte Israel wohl mehr töten und mehr Land stehlen, mehr Wohnhäuser zerstören und noch mehr Jugend, Kinder, Mütter und junge Männer einsperren. In der palästinensischen Jugend sind tausende Tamimis verborgen, die die Verknüpfung zwischen USA und Israel und deren Versuche, immer mehr arabisches Land an sich zu bringen, bekämpfen.

Mittlerweile weisen Palästinenser USAID vielfach zurück. Von USA geförderte Projekte erfahren feindliche Antworten und weitere Forderungen nach einem organisierten Boykott. Die Leute weisen Programme zurück, angefangen von der Lieferung von sauberem Wasser (in Flaschen?) über die Weigerung, mit US-Projektmanagern zusammen zu arbeiten bis zum Aufstöbern von Produktbezeichnungen mit Hinweisen – schließlich der Flagge der USA – auf von USA stammenden Produkten. Der/die Sprecher/in einer NG0 sagte: „Wir verteilen sauberes Wasser in Flaschen mit der US-Flagge auf dem Etikett. Die Öffentlichkeit hatte damit nie ein Problem. Aber seit der Entscheidung von Trump gibt es eine Menge Empfindlichkeiten. Viele Veranstaltungen wurden abgesagt und Hilfe wurde zurückgewiesen, es gab sogar die Entscheidung von juridischen Fakultäten in Palästina, sich von einer internationalen Veranstaltung zurückzuziehen, für die das Konsulat der USA geplant hatte, Flugtickets zur Verfügung zu stellen“.

Das palästinensische Nationalkomitee für Boykott, Divestment und Sanktionen (BDS) denkt jetzt nach, ob sie die Boykott-Linie erweitern wollen. Die Menschen verlangen Würde und Gerechtigkeit, nicht eine Vermischung mit Hilfsgütern, wie sie die Vereinigten Staaten auch nach Israel senden, um deren militärische Kapazität zu stärken und damit die Struktur der Apartheid. Sie sind bereits verstört, wenn sie nur irgendwelche Beziehungen zu Dingen haben, die ein Etikett der USA tragen. Mitten unter dem wachsenden Druck zu mehr Boykott wären NGOs gezwungen sich einzustimmen auf jede palästinensische nationale Entscheidung über die Zurückweisung von Subventionen. Wie Omar Barghouti, ein Mitbegründer der BDS-Bewegung notiert: „Die überwiegende Mehrheit der Palästinenser hat die einander folgenden amerikanischen Administrationen immer nicht nur erkannt als die Paten sondern auch als die Partner in den Verbrechen des israelischen Regimes der Besetzung, der Kolonisierung und Apartheid“. Trumps Entscheidung über Jerusalem konnte diese Empfindlichkeiten nur zementieren.

Unter Trump schießen zionistische Lobbys in den USA, speziell die christlichen Zionisten, Tonnen von Geld zu, um zu ermöglichen, was offensichtlich Trumps neuer Weg für einen israelisch-palästinensischen Friedensprozess ist. Saeb Erekat, Generalsekretär der PLO beobachtet, wie „die US-Administration sich derzeit in Richtung auf diesen neuen Weg einlässt, der dem palästinensischen Volk Lösungen diktiert und eine Veränderung der  Ordnung für  Jerusalem und die Flüchtlingsfragen fallen lässt, damit die Situation bleibt  wie sie ist, sodass die Oberschicht sich für die israelische Okkupation ausspricht. Aber“ setzt er hinzu: das ist nicht durchführbar. Es ist etwas, das unser Volk, das standhaft in seinem Land bleiben will, niemals akzeptiert.“ Er fuhr fort: „Uns als Arabern würde nichts bleiben, wenn wir Jerusalem nicht mehr hätten“, und er forderte die arabischen Länder auf, ihre gemeinsamen Resolutionen wirksam zu machen, einschließlich des Gipfelabkommens in Amman (1980), in Algerien (1990) und in Kairo (2000), bei denen beschlossen worden war, die Beziehungen zu den Ländern abzubrechen, die ihre Botschaften nach Jerusalem verlegen.

Die Geschichte von Tamimis Arretierung und Verfahren geht den Menschen nicht aus den Köpfen. Die Israelis wundern sich, wieso – in aller Welt – ein junges Mädchen (Tamimi) einen IDF in aller Öffentlichkeit angreifen und demütigen konnte. Die Palästinenser wissen, dass der Fall Tamimi kein einmaliges Vorkommnis war. es gibt hunderte und aberhunderte palästinensische Jugendliche, deren Mut und Angriffslust von Mal zu Mal wächst, wenn israelische Soldaten grausam und in unzulässiger Art vorgehen.

Knesset-Mitglied Bezalel Smotrich (Jewish Home Party) forderte vom IDF-Personalleiter

anzuordnen, dass jede Begegnung oder jeder Zusammenprall zwischen dem Feind und unseren Truppen mit einem schmerzlichen und entscheidenden Ergebnis endet“. Lara Friedman, eine jüdische Aktivistin, zurzeit Präsidentin der Foundation of Middle East Peace, beobachtet: Alle diese Reaktionen starren auf die Schlüsselfrage: Wie kamen israelische Soldaten überhaupt zu diesem Handgemenge mit einem palästinensischen Teenager? Haben sie sich um ihr Geschäft gekümmert, sich mit der Sicherheit Israels oder der Israelis zu beschäftigen, als Ahed und ihre Verwandtschaft plötzlich auftauchten, um sie zu „provozieren“?

Israel steht auf der falschen Seite der Geschichte.

Der Schritt ist nicht groß, der Israel von jenen trennt, die einst seine Folterer waren. Die Zionisten weisen den Vergleich mit ihren Folterern zurück, und es mag wirklich nicht ganz das gleiche sein. Der Zionismus ist eine Ideologie, die zu eng und zu zerbrechlich ist, um weit in die Zukunft bestehen zu bleiben. Seine Formulierungen sich rassistisch und fundamentalistisch und gründen sich auf dem  „Anderssein des Anderen“. Und so lange es die Einbeziehung – der anderen – zurückweist, wird es zusammenbrechen. Europa trägt noch die Narben der Nazi-Scheußlichkeiten. Israel wird viele Jahrzehnte brauchen, um von seinen zu genesen. Oder, noch schlimmer, es wird aufgefressen von den Verwüstungen, die es als Rache über die Palästinenser anrichtet.

Nelson Mandelas Wort ist weltbekannt: „Ein Mensch, der einem anderen Menschen die Freiheit wegnimmt, ist ein Gefangener des Hasses, er ist eingesperrt hinter den Gitterstäben seines Vorurteils und seiner Engstirnigkeit. Ich bin nicht wirklich frei, wenn ich jemandem anderen die Freiheit nehme, ebenso wenig ich frei bin, wenn mir die Freiheit weggenommen wird. Der Unterdrückte und der Unterdrücker werden beide in gleicher Weise ihrer Menschlichkeit beraubt.“

dt. Gerhilde Merz, zugesandt von Ellen Rohlfs, 19.01.2018